Vom Spitzenbanker zum Fußballmanager – Michael Diederich über seine späte illustre Karriere, die Kultur des FC Bayern und ein berühmtes Festgeldkonto. Interview, geführt zusammen mit Christian Schnell
Michael Diederich, 59, liebt Geldgeschäfte sowie Fußball in Gestalt des FC Bayern München. Als Chef der Hypo-Vereinsbank in München saß er einst im 21. Stockwerk des Konzern-Towers und schaute in die Alpen. Nun blickt er als zweiter Mann im Klub vom Büro an der Säberner Straße aufs Trainingsgelände des deutschen Rekordmeisters. Ein guter Tausch, findet Diederich im Video-Interview: Die Alpen stünden still, auf dem Fußballplatz unter ihm sei immer etwas los.
HB: Herr Diederich, fast Ihr gesamtes Arbeitsleben haben Sie in der Finanzbranche verbracht – ehe im 58. Lebensjahr der Wechsel ins Fußballgeschäft folgte. Statt Zinsen nun Zauber auf dem Rasen – ein Kulturschock?
Davon kann gar keine Rede sein. Die ersten hundert Tage als Finanzchef waren sehr intensiv. Aber man kann eine Bank und einen Fußballverein nicht wirklich miteinander vergleichen, Banking ist eine regulierte Industrie….
HB: …Fußball eine eher unregulierte Branche.
Zumindest nicht von der Europäischen Zentralbank beaufsichtigt. Aber es gibt auch hier Regeln und auch eine Selbstregulierung. Die Frage ist, ob sich jeder Klub in Europa an das bestehende Rahmenwerk hält.
HB: Sie begannen im April als stellvertretender Vorstandschef in einer Phase größter Turbulenzen. Der CEO und der Sportvorstand waren plötzlich weg. Ihr Vorgänger als Finanzchef, Jan-Christian Dreesen, der gehen wollte, war nun Ihr neuer Chef. Im Vergleich dazu war die Zeit als Banker doch ruhig, oder?
Die Illusion, dass es in einer Bank ruhig zugeht, muss ich Ihnen leider nehmen. Die Finanzwelt ist seit mindestens einer Dekade unter Hochstress. Aber ja, es wurden notwendige Anpassungen und Veränderungen im Sommer beim FC Bayern vorgenommen, und bei solchen Veränderungen dauert es auch manchmal ein wenig, bis sich alles wieder eingespielt hat. Allerdings kennen Jan-Christian Dreesen und ich uns schon lange und gut. Wir haben einen sehr intensiven, harmonischen Austausch.
HB: Zwei Ex-Banker an der Spitze, das ist eine Zäsur. Der Klub ist seit Jahrzehnten immer von ehemaligen Spielern geleitet worden. Ändert sich das wieder?
Das kann nur der Aufsichtsrat entscheiden…
HB: …wo mit Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge zwei ehemalige Fußballer prägenden Einfluss haben.
Unser Aufsichtsrat ist ein sehr kollegiales Gremium und er ist top besetzt. Zwei Mitglieder haben dabei dezidiert viel Erfahrung im Bereich Sport und Fußball. Unser Transferausschuss hat dieses Jahr sehr gut gearbeitet und alle haben sehr gut miteinander harmoniert. In den vergangenen Wochen haben wir vieles diskutiert, teilweise auch kontrovers: Ausrichtung, Digitalisierung, Nachhaltigkeit, neue Geschäftsmodelle. Wir sind stolz darauf, ein moderner Traditionsverein mit großartigen Fans zu sein. Und unsere Fans verlangen letztlich von uns, dass wir samstags gewinnen. Das ist das A und O – neben unserer wirtschaftlichen Solidität und unserer sozialen Verantwortung.
HB: Sie sind vom Mailänder Unicredit-Großkonzern und dessen Tochter Hypo-Vereinsbank (HVB) in ein familiär geführtes Unternehmen gewechselt – liegt Ihnen das mehr?
Ich wäre da vorsichtig mit Begriffen wie „groß“ und „klein“. Fakt ist, man wirkt in einem mittelständischen Unternehmen viel unmittelbarer als in einem Konzern mit 90 000 Menschen. Dieser direkte und unmittelbare Kontakt ist eine große Bereicherung. Ich finde das wahnsinnig spannend, zudem war ich schon immer Fan des FC Bayern. Deshalb habe ich sofort zugesagt, als das Angebot vom Aufsichtsrat kam.
HB: Allein die Bilanzsumme der HVB lag 2022 bei 318 Milliarden Euro, der FCB setzt weniger als eine Milliarde um – ist das nicht doch mit Bedeutungsverlust verbunden?
Das sehe ich anders. Würde mich eine Lust an Umsatzgröße und oder ausgeprägten Hierarchien antreiben, hätte ich nicht zum FC Bayern wechseln dürfen. Motiviert hat mich unter anderem, meine Erfahrung aus 25 Jahren Berufsleben einzubringen. Ich bin genau da, wo ich mich wohlfühle. Der Klub hat wie die Bank Aktionäre mit einem gewissen Anspruch – und ein unfassbar großes wirtschaftliches Potenzial. Aber das Umfeld wird immer komplexer.
HB: Ihre Karriere bei der HVB gipfelte im Amt des Vorstandssprechers. Da fragen sich manche, warum Sie nun zweiter Mann im Fußballklub sind.
HVB und Unicredit stehen im internationalen Vergleich bestens da. Wir haben uns sehr früh auf den Weg Richtung Online-Banking gemacht, teilweise gab es auch Kritik, wenn wir dafür Filialen geschlossen haben, aber das gehört dazu, wenn man Dinge verändern muss, egal in welchem Unternehmen. In der Bundesliga gibt es beispielsweise bei der Frage der Internationalisierung viel zu tun. Beim FC Bayern waren wir hier bereits in den vergangenen Jahren sehr aktiv und wollen das weiter intensivieren.
HB: Hat der mit 300.000 Mitgliedern immerhin weltgrößte Verein hier Chancen liegengelassen?
Sehen Sie, was die Major League Soccer (MLS) in den USA gerade macht – in weiser Voraussicht auf die Weltmeisterschaft im eigenen Land und in Mexiko! Man holt Lionel Messi als Top-Star und Apple als Vertriebspartner, baut Franchise auf. Soccer hat dort großes Potential, ist neben American Football dort der am schnellsten wachsende Sport. Allein deswegen sind die USA auch wichtig für uns. Wir haben schon lange ein Büro in New York, und dort geht es wie in unseren Büros in Shanghai und Bangkok darum, die Fans zu erreichen und den FC Bayern noch bekannter zu machen, noch besser zu vernetzen.
HB: Vielleicht Sind Sie inzwischen einfach froh, mit der Konsolidierung der Bankenbranche nichts mehr operativ zu tun zu haben – und sich auf Wachstumsthemen konzentrieren zu können.
Wir sind auch bei der HVB gewachsen. Auf der anderen Seite ist es beeindruckend, wie sich die Bundesliga in 60 Jahren seit ihrem Bestehen entwickelt hat. Doch in Zukunft steht der deutsche Fußball vor immensen Herausforderungen. Der heimische Markt für Bezahlfernsehen wächst nicht mehr, deswegen ist stärkere Internationalisierung auch für die Bundesliga Pflicht. Aber im Sommer waren nur Borussia Dortmund und wir in der Welt unterwegs. Um zu erreichen, was die englische Premier League in Asien schon geschafft hat, werden wir uns langmachen müssen. Der deutsche Fußball braucht bessere Netzwerke, mehr Partner und mehr Professionalisierung in der Auslandsvermarktung.
HB: Haben Sie Hoffnung, dass künftig der Internet-Gigant Amazon bei der nationalen TV-Vermarktung einsteigt und sich für viel Geld das Bundesliga-Topspiel der Woche am Samstagabend sichert?
Unabhängig von Spekulationen um einzelne Unternehmen und Sendeplätze sollte man sich nicht auf einen möglichen Retter verlassen, sondern lieber auf eine gute Strategie.
HB: Sie galten in der Bank als nahbarer Teamplayer, der sich mit dem Laptop zur Überraschung aller in den Händlersaal setzte. Wie wollen Sie die Unternehmenskultur des FC Bayern ändern?
Wir haben hier 1200 Kolleginnen und Kollegen. Ich habe, wenn Sie so wollen, den Trading Floor mit der Kantine des FC Bayern getauscht. Ich unterhalte mich völlig unabhängig von Abteilung oder Zuständigkeit mit den Menschen. Jedes Gespräch ist interessant und schafft gegenseitiges Verständnis. Wenn man wissen will, was in einem Unternehmen passiert, musst du raus aus deinem Büro. Nur so wird dir klar, wo der Verein steht, was es zu tun gilt und wie wir uns weiterentwickeln können.
HB: Erschrecken Sie eigentlich, wenn Sie sehen, wieviel mehr Geld Profifußballer als durchaus gut bezahlte Banker verdienen?
Das kann man nicht vergleichen. Dieser Sport ist nun einmal einzigartig und hochattraktiv. Natürlich haben Sie Recht, die Gehälter sind sehr hoch. Aber wir sind in der Lage, das zu stemmen. Unser Anspruch ist klar: ganz vorn in Europa dabei zu sein. Und da konkurrieren wir mit Klubs, die große Investoren, zum Beispiel Oligarchen und ganze Staaten, hinter sich stehen haben.
HB: Oder auch Konzerne wie Red Bull, die rund um RB Salzburg und RB Leipzig ein ganzes Netz von Klubs aufgezogen haben. Von dort holten Sie Christoph Freund als neuen Sportdirektor.
Einer der großen Schlüssel wird für uns sein, die eigene Nachwuchsförderung am FC Bayern Campus zu intensivieren. Da muss der nächste Thomas Müller oder Jamal Musiala gefunden werden. Transfereinkünfte werden in unserer Bilanz wichtiger werden. Das ist ein bedeutender Baustein unserer Finanzplanung. Christoph Freund hat in Salzburg gezeigt, was man da erwirtschaften kann. Aber genauso wird es seine Aufgabe sein, erfahrene Spieler zu verpflichten, wenn diese unsere Mannschaft verstärken.
HB: Schließlich müssen Rekordsummen finanziert werden wie jene 100 Millionen Euro, die Sie für den Stürmer Harry Kane ausgaben.
Alle Welt schaut auf ihn. Und man darf nicht vergessen, dass wir ökonomisch mit der Abgabe einiger Spieler viel erreicht hatten. Es geht insbesondere bei solchen großen Transfers um zwei Fragen: Können wir uns das finanziell erlauben? Und: Passt der neue Spieler zu uns? Die Antwort war im Fall Harry Kane zweimal: Ja.
HB: Haben Sie sich eigentlich mit dem Wechsel selbst auch finanziell verbessert?
Geld war nicht mein Antrieb für den Wechsel.
HB: Das Festgeldkonto des FC Bayern ist berühmt. Nun sind Sie nicht mehr Chef der verwaltenden Bank, sondern haben direkt Zugriff darauf. Ein angenehmer Perspektivwechsel?
Den Begriff „Festgeldkonto“ hat, glaube ich, Uli Hoeneß geprägt. Was er damit sagen wollte: Wir wirtschaften erfolgreich und geben nur das aus, was die Bilanz hergibt. Der Klub steht für finanzielle Professionalität. Und für weitere Transfers reicht das Festgeldkonto noch aus.
HB: Es gibt ja auch wieder Zinsen.
Das freut mich natürlich, weil ich jetzt auf der Anlagenseite bin. Und der Verein wird auch künftig keinen Bedarf an Krediten haben. Allerdings hat der Zinsanstieg volkswirtschaftlich seine Schattenseiten. Schauen Sie sich zum Beispiel den Immobilienmarkt an, dort führt der rasche Zinsanstieg zu großen Herausforderungen.
HB: Sie könnten mehr Eigenkapital von neuen Gesellschaftern aus dem Ausland einwerben, um die angestrebte Internationalisierung zu stärken.
So etwas steht nicht an, da kann ich alle beruhigen. Am 11./12. November geben wir auf der Jahreshauptversammlung unsere aktuellen Zahlen bekannt. Da wird dann allen klar werden: Um unsere Eigenkapitalposition muss sich niemand Sorgen machen.
HB: Welche Ziele wollen Sie als Finanzchef Mitte 2024 zum Saisonende erreicht haben?
Wir wollen – wie immer – Deutscher Meister werden und möglichst auch Pokalsieger. Und in der Champions League weiter kommen als zuletzt. Und da Sie den Aspekt Finanzchef ansprechen: Wir wollen zudem am Ende noch etwas mehr auf unserem Festgeldkonto haben.
HB: Erwarten die Fans neben Siegen nicht auch ethisch vorbildliches Verhalten?
Gesellschaftliche Relevanz ist für uns ein großes Thema. Deshalb machen wir unsere clubübergreifende Initiative „Rot gegen Rassismus“ für Vielfalt oder Freundschaftsspiele, deren Erlöse wir einem guten Zweck zukommen lassen. Deshalb arbeiten wir unsere eigene Historie auf, reden mit Fanvertretern über LGBTIQ+ oder bieten eine App an, um Menschen mit Behinderung den Besuch der Allianz Arena zu erleichtern. Das alles zählt für uns zur sozialen Nachhaltigkeit. Der FC Bayern ist viel mehr als ein Fußballklub oder ein Wirtschaftsunternehmen. Wir wissen um unsere gesellschaftliche Relevanz, haben hier eine große Verantwortung und setzen alles daran, diese zu erfüllen.
HB: Im deutschen Fußball verhindert eine „50+1“-Regel, dass Finanzinvestoren die Stimmenmehrheit in einem Klub übernehmen. Das letzte Wort haben die Mitglieder. Was denken Sie darüber?
Ich finde, jeder Verein sollte selbst entscheiden, wer seine Gesellschafter sind und nicht wie bisher dogmatisch vorgehen. Und der FC Bayern hat sogar die 70+1-Regel, das ist in der Satzung des FC Bayern München eV so festgeschrieben.
HB: Was Sie „dogmatisch“ nennen, sind Statuten der Deutschen Fußball-Liga (DFL).
Diese Diskussion wird in Deutschland holzschnitzartig geführt. Die Beteiligung eines Investors ist per se noch nichts Schlimmes oder Schädliches. Das gesamte Produkt Fußball verändert sich.
HB: Dann könnten also, wie in England, auch Staatsfonds aus Saudi-Arabien, Abu Dhabi oder Katar bald hierzulande Spitzenklubs kaufen?
Selbstverständlich sollte jeder Klub immer sehr genau abwägen, mit wem er zusammenarbeiten möchte und ob es eine gemeinsame Basis gibt.
HB: Die meisten Fans und Klubs sind da anderer Meinung. Ein Vertreter dieser Richtung ist beispielsweise der einstige DFL-Chef Andreas Rettig, der jüngst Geschäftsführer Sport des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) wurde.
Ich habe nicht verstanden, warum die Mitte Dezember 2022 zur Beratung des DFB gebildete „Taskforce Nationalmannschaft“ von dieser wichtigen Entscheidung nicht einmal vorab informiert wurde. Es war nur zu logisch, dass unser Aufsichtsrat Karl-Heinz Rummenigge sofort seinen Rücktritt erklärt hat. Wenn sich der deutsche Fußball behaupten will, müssen wir an einem Strang ziehen.
HB: Sie selbst sind erklärter FC-Bayern-Fan. Wie kam es dazu?
Als ich zehn Jahre alt war, war es bei mir in der Gegend so: Man fand entweder Borussia Mönchengladbach oder den FC Bayern gut. Ich wusste da früh, wen ich unterstütze, auch wenn ich deshalb viele Diskussionen führen musste. Aber so ist die Welt nun einmal (lächelt).
Die Fragen stellten Hans-Jürgen Jakobs und Christian Schnell.