Meine gesammelten Werke: Wie ich die Lage gesehen habe.

Rüstungs-Start-ups, Kapitaloffensive, Uni-Wettbewerb: Interview mit Wirtschaftsminister Robert Habeck und Helmut Schönenberger, Chef von UnternehmerTUM

Handelsblatt, 04.03.2024

„So können wir nicht weitermachen“

Rüstungs-Start-ups, Kapitaloffensive, Uni-Wettbewerb: Interview mit Wirtschaftsminister Robert Habeck und Helmut Schönenberger, Chef von UnternehmerTUM

Handelsblatt, 04.03.2024

HB: Herr Habeck, rund um Ihren avisierten „Reformbooster“ gegen die lahmende Wirtschaft sprechen Sie vom Kampf gegen Bürokratie, Arbeitskräftemangel und schlechte Investitionsbedingungen. Innovation kommt kaum vor. Haben Sie bisher zu wenig über die Chancen geredet, die sich aus guten Start-ups in Deutschland ergeben?

Robert Habeck: Innovation ist die Wertschöpfung von morgen. Deshalb ist uns die neue Start-up-Strategie in Deutschland so wichtig. In der Öffentlichkeit standen aber nach dem russischen Angriff erst einmal andere Dinge im Vordergrund. Die letzten zwei Jahre waren dominiert von Sorgen um die Energiesicherheit und den Folgen der Energiepreiskrise, die vor allem die energieintensive Industrie zu spüren bekommen hat.

HB: Und jetzt wollen Sie Ihre Politik ändern?

Habeck: Wir erleben ja gerade, wie sich die Krisen bündeln – die Rückkehr der Geopolitik, die große Unsicherheit, die Klimakrise. Dazu kommen die strukturellen Probleme Deutschlands, die sich über Jahrzehnte aufgebaut haben. Wir müssen Etliches gleichzeitig bearbeiten. Das Gute ist: Die Energieversorgung haben wir gesichert, die Gas- und Strompreise gehen runter, der Ausbau der Erneuerbaren Energien läuft, die CO2-Emissionen sinken, die Inflation ist im Februar mit 2,5 Prozent wieder auf einem Niveau wie lange nicht und irgendwann fällt auch der Leitzins wieder. Bei allen Problemen – es steckt große Kraft in diesem Land! Jetzt geht es auch darum, Neugründungen in Deutschland richtig zu pushen, von erfolgreichen Modellen zu lernen, und neue Investoren anzulocken.

HB: Wie wollen Sie es schaffen, dass Deutschland zur „Start-up-Nation“ wird? Was sind die wichtigsten Elemente?

Habeck: Wir haben beispielsweise bei der Finanzierung von Start-ups Defizite, wenn es in die Wachstumsphase geht. Der deutsche Kapitalmarkt ist vergleichsweise risikoavers. Die Kapitalsammelstellen legen ihr Geld bisher nicht so sehr in deutschen Start-ups an, sondern eher im Ausland. Also steigen vor allem Investoren aus Amerika und Asien bei hiesigen Jungunternehmen ein. Das dürfen sie auch gern. Aber es wäre gut, wenn wir selbst einen Markt für solche Investments schaffen würden. Das ist eines der wichtigsten Vorhaben von unserem, wenn Sie so wollen, „Start-up Germany“.

Helmut Schönenberger: Die Start-up-Strategie der Bundesregierung ist aus unserer Sicht gut aufgesetzt. Es kommt nun darauf an, sie umzusetzen. Industrie, Mittelstand und Start-ups haben sich dabei wahnsinnig viel zu geben.

HB: Wie soll das konkret gelingen, mehr deutsches Kapital für deutsche Start-ups zu mobilisieren?

Habeck: Indem wir die positiven Beispiele herausstellen und mit öffentlichem Geld dafür eine gewisse Risikoabsicherung geben. Nehmen wir die Kernfusion: Das ist in den USA und in Großbritannien ein interessantes Anlagefeld, und nun höre ich von deutschen Start-ups: „Wir können das auch, wir sind sogar besser.“ Es gibt viel Geld in Deutschland bei Family Offices, Versicherungen, Banken, Pensionskassen und Stiftungen. Das müssen wir für Investitionen in solche Projekte gewinnen.

Schönenberger: Es ist toll, dass wir bei der Kernfusion diese starken Teams haben.  Aber sie müssen stärker mit deutschem und europäischem Kapital finanziert werden. Die nächsten Marktführer sollten hierzulande entstehen und gehalten werden. Wir müssen an unsere eigenen Kinder glauben.

HB: Regulatorische Vorgaben besagen in Deutschland, dass etwa Versicherungen nur einen kleinen Teil ihres Vermögens – in der Praxis höchstens drei Prozent – in riskantere Anlagen wie Private Equity und Wagniskapital für Start-ups investieren dürfen. Das wollen Sie ändern?

Habeck: In Wahrheit müssen wir das europäisch denken und eine Kapitalmarktunion schaffen. Hier sind neue Regeln zu schaffen. Das hätte längst passieren müssen.

HB: Das derzeit wertvollste deutsche Start-up Celonis ist aus dem Umfeld der Technischen Universität München und des Gründerzentrums UnternehmerTUM entstanden. Was sagt Ihnen ein solcher Erfolg?

Habeck:  Der zeigt, wie wichtig es ist, dass wir mehr Unternehmen aus den Hochschulen heraus in die Wirtschaftlichkeit bringen. Ziel muss es sein, mehr erfolgreiche Gründerzentren wie das Münchener UnternehmerTUM im Land zu schaffen. Was hier entstanden ist, ist beispielgebend.

HB: Deshalb hat Ihr Ministerium jetzt den „Leuchtturmwettbewerb Start-up-Factories“ unter Universitäten und Hochschulen gestartet und gibt dafür öffentliche Gelder. Was erhoffen Sie sich davon?

Habeck: Einen Schub für Innovation „made in Germany“. Wir können mit dem Wettbewerb bis zu 15 Start-up-Factories hochziehen. Das wäre ein großer Erfolg. Wichtig ist: Wir setzen Impulse. Andere folgen. UnternehmerTUM hat das in München mit privatem Kapital auch hingekriegt, ohne dass der Staat gesagt hat: „Mach‘ mal!“

Schönenberger: Die Idee hier war immer eine gemeinsame Kraftanstrengung – von etablierten Unternehmen, von Industriellenfamilien, von Investoren, von der Universität, von Start-ups. Das alles muss zusammenkommen. Alle müssen mithelfen. Das bedeutet, das UnternehmerTUM nicht nur unternehmerisch predigt, sondern auch selbst unternehmerisch handelt. Von unserem Budget sind nur 20 Prozent Staatsgeld, 80 Prozent werden erwirtschaftet. Das ist der Hebel. Der neue Factory-Wettbewerb wird ein Anstoß für Regionen sein, zu kooperieren, so wie es Aachen und Köln praktizieren. Und er wird dazu führen, dass wohlhabende Familien an ihren Standorten etwas bewirken wollen. Andreas und Thomas Strüngmann, Susanne Klatten oder Dieter Schwarz haben hier Marksteine gesetzt.

HB: UnternehmerTUM richtet für solche potenziellen Geldgeber spezielle Dinner aus. Womit wollen Sie dabei genau überzeugen?

Schönenberger: Unsere Ansprechpartner sind alle daran interessiert, in einem stabilen, nachhaltigen Land zu leben. Es ist nun mal eine Freude, wenn vor der Haustür die Wirtschaft blüht – und die jeweiligen Start-ups dann in ganz Deutschland, in Europa und günstigenfalls auf dem Weltmarkt aktiv werden. Und es gibt im Übrigen an den Universitäten viele Professorinnen und Professoren, die auch einen realen Beitrag leisten wollen.

Habeck: Wenn man in einer traditionsreichen Unternehmerfamilie groß geworden ist, schaut man natürlich zunächst auf das, was man bereits erfolgreich macht. Aber jetzt wenden sich viele auch den Start-ups zu. Da spielt auch ein gewisser Lokalpatriotismus eine Rolle. Und es ist erlaubt, zu sagen: „Das, was die Münchener machen, können wir in Hamburg auch.“

Schönenberger: Es gibt diese Aufbruchstimmung. Dies beweisen der neue Bildungscampus in Heilbronn, finanziert von der Dieter-Schwarz-Stiftung, sowie das Potsdamer Hasso-Plattner-Institut des SAP-Mitgründers.

HB: Vom Bund kommen für diesen Leuchtturmwettbewerb bis zu 100 Millionen Euro. Recht bescheiden angesichts beispielsweise von zehn Milliarden Euro Subvention für die Intel-Chipfabrik in Magdeburg.

Habeck: Sie übersehen, dass die Großinvestitionen in die Mikroelektronik erstens eine große strategische Bedeutung haben und zweitens Kristallisationspunkte sind, von denen aus Ökosysteme aus vor- und nachgelagerten Industrien und Zulieferern entstehen.  Man sollte das nicht gegeneinander ausspielen. Zu den Start-ups: Das Geld ist ja bei weitem nicht alles, was wir für Start-ups tun. Das ist ein Hebel, um in den Markt hineinzukommen. Wir unterstützen die Ausgründungs-Infrastruktur. Nicht zu vergessen ist, dass wir zehn Milliarden Euro in unserem Zukunftsfonds haben, mit dem wir innovative Technologie-Start-ups in ihrer Wachstumsphase unterstützen. Diese Mittel investieren wir zusammen mit privaten Investoren. Wir wollen bis 2030 mehr als 30 Milliarden Euro an öffentlichen und privaten Mitteln für Investitionen in Start-ups bereitstellen. Das kann sich sehen lassen. Der neue Leuchtturmwettbewerb Startup Factories ergänzt das langjährige Förderprogramm „EXIST – Existenzgründungen aus der Wissenschaft“. Unser Ziel ist es, junge Unternehmen zur Marktreife zu führen und dann zu fragen: „Und wer will mit uns Geld verdienen?“ Bei all diesen Projekten kann auch mal etwas schiefgehen, deswegen heißt es ja Unternehmertum.

Schönenberger: Wir wollen Teil einer Wertschöpfung sein. Es geht am Ende natürlich darum, nicht Geld zu versenken, sondern Geld zu verdienen. Cluster helfen dabei. In Dresden entsteht eine starke Chip-Industrie, was für die deutsche Start-up-Szene genial ist, auch für unsere Münchner Teams. Das wird ein Start-up-Hub. Für uns sind die Dresdner oder die Stuttgarter oder die Hamburger unsere Geschwister. Wir müssen in Netzwerken und als Familie denken. Nur dann haben international eine Chance. Unser Wettbewerb sitzt in Silicon Valley, Tel Aviv oder Schanghai.

HB: Wo steht die deutsche Start-up-Landschaft im Vergleich zu der in den USA oder in Israel?

Habeck: Das führt zu einem wichtigen Punkt, der nicht ganz einfach ist. Der Terminus „Start-up-Nation“ kommt aus Israel. Die dort vibrierende Start-up-Branche ist auch aus dem militärischen Komplex erwachsen: Drohnen, Hightech, Cyber-Security. Aus der Arbeit daran entstanden viele Nebenprodukte. Wir haben in Deutschland – in der leider irrigen Hoffnung, der ewige Frieden habe den Kontinent erreicht – auf dem Gebiet der Sicherheit lange zu wenig getan. Im Grunde haben wir auch bei der Innovation und Forschung abgerüstet. Ich sage das hier sehr offen: So können wir nicht weitermachen. Wir müssen im Bereich von Sicherheit und Wehrfähigkeit besser werden. Und besser werden heißt auch, Innovationen zu stärken.

HB: An was denken Sie da?

Habeck: Beispielsweise an Abfangdrohnen auf Hightech-Basis, die mir hier gezeigt wurden. Solche defensiven Waffen hätten wir am besten schon vor Jahren haben sollen.

HB: Auch eine Zeitenwende. Diese neue Ausrichtung erfordert ein gesellschaftliches Umdenken.

Habeck: Es ist eine schwierige Debatte. Ich verstehe, dass die Menschen in Sorge sind. Mit dem russischen Angriff auf die Ukraine ist Krieg sehr nah gerückt, er ist nichts Abstraktes mehr. Diplomatie ist und bleibt für uns das Mittel, mit dem Konflikte gelöst werden müssen. Aber wir dürfen nicht naiv sein. Putin hat allem Völkerrecht und allen Vereinbarungen zum Trotz die Ukraine überfallen. Bedrohungsszenarien können Realität werden. Deshalb sind wir gut beraten, unsere Sicherheit und Wehrfähigkeit zu stärken. Cyber-Security, Künstliche Intelligenz oder digitale Abfangsysteme gehören dazu.

HB: Unter dem Vorzeichen einer ganz neuen Zusammenarbeit zwischen Wirtschafts- und Verteidigungsministerium? In den USA gibt es für solche Fragen eine eigene staatliche Agentur, die „Defense Advanced Research Projects Agency“ (Darpa).

Habeck: Das Verteidigungsministerium bestellt solche Technik ja und ist letztlich zuständig. Aber wir sollten die Dinge zusammendenken. Das Konzept der Darpa ist interessant, und es ist in den USA auch erfolgreich. Hier sollten wir schauen, was wir davon lernen können.

Schönenberger: Es ist in einem solchen Fall eminent wichtig, dass bald Kunden kommen, dass die öffentliche Hand Aufträge erteilt. Dann folgen private Geldgeber schnell.

HB: Herr Habeck, die Bundesregierung hatte den Start-ups zu Amtsbeginn viele Erleichterungen und Verbesserungen versprochen. Was haben Sie sich für die verbleibende Zeit bis zur Bundestagswahl im September 2025 noch vorgenommen?

Habeck: Ach, mein Gott, alle starren jetzt wie die Karnickel vor der Schlange auf die Bundestagswahl. Wir haben noch viel vor. Unsere Start-up-Strategie umfasst 130 Einzelmaßnahmen und Projekte. Mehr als die Hälfte davon haben wir abgearbeitet. Darunter befindet sich das Zukunftsfinanzierungsgesetz, das die Beteiligung der Mitarbeiter an Start-ups steuerlich verbessert. Jetzt müssen wir die PS auf die Straße bringen. Die Start-ups reden immer von „Missionen“. Der Gedanke dahinter ist: Eine Regierung sagt „da haben wir ein Problem. Löst uns das Problem. Und das setzt enorme Kräfte frei.“ Dieses Denken wird in den USA über die erwähnte Agentur Darpa institutionalisiert.

HB: Nur 21 Prozent der Jungunternehmen werden von Frauen geleitet. Was tun Sie dagegen?

Habeck: Frauen sind mindestens so gute Unternehmerinnen wie Männer. Für den nötigen Wandel braucht man Vorbilder. Unternehmerinnen wie Verena Pausder, die den Start-up-Verband leitet. Als Regierung unterstützen wir Frauen zum Beispiel bei der Gründung. Da gibt es ein eigenes Förderfenster für von Frauen geleitete Start-ups – „EXIST Woman“. Wichtig ist, dass die Förderungen nah an der Lebenswirklichkeit sind. Deshalb kann man bei den Exist-Programmen neuerdings auch Babypause machen, ohne Abstriche bei der Förderung zu befürchten.

HB: Realität ist, dass männlich dominierte Wagniskapitalfonds in männlich dominierte Start-ups investieren. Mann bleibt Mann.

Habeck: Das zeigt, dass hier noch ein Weg zu gehen ist. Da, wo wir können, unterstützen wir: Wir haben beispielsweise im Rahmen des Zukunftsfonds ein Fondsinvestmentprogramm, mit dem jüngere, weiblich und vielfältig aufgestellte Fondsmanagement-Teams gestärkt und finanziert werden.

Schönenberger: Mit der Zeit wird es sich durchmischen. Jetzt kommen die ersten erfolgreichen Gründerinnen und investieren wieder. Eine kleine Anekdote: Wir machen bei UnternehmerTUM eine Anfangsvorlesung, bei der 500 Studentinnen und Studenten in Entrepreneurship eingeführt werden. Den Kick-off hatte letztes Mal die Gründerin Maria Sievert von Inveox gemacht – mit ihrem drei Monate alten Baby auf dem Arm. Das war die beste Frauenförderinnen-Aktion, die wir je gemacht haben. Jeder verstand: Es ist möglich, Firma und Familie zu verbinden.

HB: Herr Habeck, gibt es historische oder aktuelle Gründerfiguren, die Ihnen besonders imponieren?

Habeck: Ich will hier niemanden rausgreifen, es gibt in Deutschland viele beachtliche Gründungen. Übrigens brauchen wir beides: Gründergeist und etablierte Unternehmen. Auch Dax-40-Konzerne waren einmal Start-up-Unternehmen. Irgendjemand hat angefangen, etwas zusammenzuschrauben, und irgendwann ist dann Daimler-Benz entstanden. Mir imponiert diese Kulturphase in unserem Land, aber auch der unternehmerische Mut. Diese Leute dahinter waren nicht Milliardäre mit großem Namen, sondern sie fingen klein an.

HB: Wir reden hier vom 19. Jahrhundert.

Habeck: Andere Dax-Unternehmen sind noch keine zwanzig Jahre alt, sind dafür viel schneller gewachsen. Am Ende brauchen Gründerinnen und Gründer eine Idee, die Leidenschaft und den Durchhaltewillen, damit Erfolg zu haben. Und die Bereitschaft, für diese Idee ins Risiko zu gehen.

HB: Waren Sie selbst einmal mit einem Angebot konfrontiert, unternehmerisch aktiv zu werden?

Habeck: Ich arbeite ja gerade als Minister, da kann ich schlecht gleichzeitig unternehmerisch tätig werden.

Schönenberger: Es ist nie zu spät, Gründer zu werden.

Herr Habeck, Herr Schönenberger, vielen Dank für das Gespräch.