Meine gesammelten Werke: Wie ich die Lage gesehen habe.

Die Fußball-Europameisterschaft 2024 muss ein Erfolg werden

Handelsblatt, 08. 12. 2023

Nationalelf reißt DFB-Bilanz ins Minus

Die Fußball-Europameisterschaft 2024 muss ein Erfolg werden

Handelsblatt, 08. 12. 2023

Ein Blick hinter die Kulissen zeigt: Die Misserfolge der Starfußballer sorgen beim weltgrößten Sportverband für Verluste. Innere Reformen und eine neue Tochterfirma sollen es richten.

 

Ungewohnte Glücksgefühle stellten sich Anfang der Woche beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) ein. In der Frankfurter Zentrale („Campus“) empfing man, fast schon euphorisiert, die eigene Jugend-Nationalmannschaft (U-17). Sie war gerade Weltmeister geworden.

 

Ähnliche Erfolge vermissen die DFB-Verantwortlichen seit langem bei ihrer größten Attraktion, der Männer-Nationalelf. 2014 wurde sie noch Weltmeister. In den letzten drei großen Turnieren aber schieden die Parade-Kicker früh aus, zweistellige Millionen-Prämien gingen verloren. Die chronischen Misserfolge lasten auf der Bilanz des weltgrößten Sportverbands – die Nationalmannschaft als Vorlagengeber für rote Zahlen. Das zeigt der Finanzbericht 2022, der dem Handelsblatt exklusiv vorliegt.

 

Es ist ein Dokument ungeschminkter Wahrheit, aber auch leiser Hoffnung. Demnach machte der gemeinnützige DFB e.V. rund 4,2 Millionen Euro Verlust; ohne Sondereffekte wären es sogar minus 17,5 Millionen gewesen. Der Verband braucht dringend jene 23 Millionen Euro Gewinn, die eine neu formierte wirtschaftliche Tochterfirma ablieferte: die DFB GmbH & Co.KG. Es sei „insgesamt noch ein akzeptables wirtschaftliches Ergebnis, wenn man bedenkt, dass die Nationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft in Katar in der Vorrunde ausschied und wir es mittlerweile mit einem strukturellen Defizit zu tun haben“, erklärt Stephan Grunwald. Das grundlegende Finanzloch beziffert der Schatzmeister und Finanzdirektor auf 19,5 Millionen Euro.

 

Keine leichte Ausgangslage für den Diplom-Kaufmann aus Schleswig-Holstein, der mit 17 Jugendwart beim Heimatklub TuS Felde wurde. Bei Amtsantritt im März 2022 verordnete der Newcomer (Jahrgang 1985) zusammen mit Neu-Präsident Bernd Neuendorf, 62, dem trudelnden DFB eine Ration innerer Reformen. Steuerrazzien, eine dubiose Überweisung von 6,7 Millionen Euro an den Weltverband Fifa rund um die WM 2006 („Sommermärchen“) sowie interne Führungsquerelen hatten das Image lädiert. Aus einer sozialen Institution, die Gemeinschaftssinn stiften soll, war zeitweise eine Skandalbude geworden.

 

Mit einer Mischung aus Empathie und nordischer Nüchternheit ging Grunwald einen Kulturwandel in Richtung Effizienz und Ehrlichkeit an. Man bildete nun jedes Risiko in den Büchern ab und verabredete, stets die Einhaltung von Steuer-Vorschriften abzusichern („Tax-Compliance“). Zwischen 2002 und 2017 habe der DFB durch die Erfolge der Nationalmannschaft weitaus mehr Geld eingenommen, als er ausgeben konnte, so Grunwald: „Jetzt sind wir in einer Situation, in der wir nur das ausgeben können, was wir zur Verfügung haben.“

 

Dem DFB geht es nach eigener Aussage um drei wesentliche Ziele: In erster Linie um den sportlichen Erfolg, dann um Harmonie in der Verbandsspitze und schließlich um wirtschaftliche Stabilität. In zehn Arbeitsgruppen wurde das erstmals aufgedeckte strukturelle Defizit seitdem fast ganz abgebaut. Einzelne Maßnahmen will man nicht kommentieren. Neu ist aber beispielsweise, dass man die eigene Bilanz kostengünstig selbst erstellt. Auch bringt ein neuer „Grundlagenvertrag“ mit der Profiklub-Organisation Deutsche Fußball-Liga (DFL) rund sechs Millionen netto mehr im Jahr.

 

Und schließlich soll der fast 190 Millionen Euro teure Campus, wo auch die DFB-Akademie sitzt, künftig Einnahmen bringen. Die Zweitligisten von SV Wehen Wiesbaden sowie die New England Patriots und die Kansas City Chiefs aus der US-Football-League trainierten bereits gegen Entgelt auf dem Gelände einer früheren Galopprennbahn. Auch Werbepartner oder Unternehmen können, bei sportlichem Bezug, die Räumlichkeiten mieten. „Wir haben sehr viele Anfragen für die Nutzung des Campus und werden so 2024 nennenswerte sechsstellige Erlöse erzielen“, hofft Finanzchef Grunwald. Die Baukosten für den Campus hätten zwar Substanz entzogen, man sei aber „noch gut durch die Tür gekommen“. Das Areal hat der DFB für 99 Jahre von der Stadt Frankfurt im Zuge des Erbbaurechts übernommen.

 

Auch fortgesetzter Stress mit dem Finanzamt hat die Ertragsprobleme verschlimmert. Die Finanzbeamten entzogen dem DFB wegen vermuteter Unregelmäßigkeiten für 2006, 2014 und 2015 die Gemeinnützigkeit, wogegen der Verband juristisch vorgeht. 2017 sah der Fiskus den Verband sogar generell als Kommerzkonzern. Die Förderung des Fußballs diene beim DFB „allein der Unterstützung bezahlter Sportler“, hieß es in einem Schreiben, das seien Hilfen für den „Profi- und Elitensport“. Man riet zur Auslagerung des Wirtschaftsbetriebs in eine eigenständige GmbH – nach Vorbild der Bundesliga mit ihrer DFL.

 

Am Ende wurde daraus keine Kapitalgesellschaft, sondern eine Personengesellschaft, die GmbH & Co. KG (Umsatz: 377 Millionen Euro). Sie kümmert sich um Marketing, Spielbetrieb, Lizenzierungen, die Akademie, IT und Digitalisierung. In der Rolle als Kommanditist hat der DFB vollen Zugriff. Er behält alle Rechte und verpachtet sie lediglich der geschäftigen Tochterfirma – gegen knapp 16 Millionen Euro Pachtzins im Jahr. Das komplizierte Konstrukt führt zu vielen In-Sich-Verrechnungen innerhalb der DFB-Gruppe, etwa für den Schiedsrichter-Betrieb oder interne Dienstleistungen. Am Ende ergab sich 2022 beim DFB e.V. noch ein Umsatz von 192 Millionen Euro (2021: 392 Millionen).

 

Der DFB sei „de facto wirtschaftlich von der sportlichen Performance der Nationalmannschaft abhängig“, urteilt Experte Grunwald. Die so erzielten Erträge stellten den Betrieb sicher, doch drei in der Vergangenheit nicht erfolgreiche Turniere „werfen in der Bilanz ihren Schatten voraus“. Er mahnt: „Sollte sich diese Tendenz bei der Europameisterschaft 2024 im eigenen Land fortsetzen, haben wir ein ernsthafteres Problem. Wenn man zwei Runden weiterkommt, ergibt das nun mal ein Plus von einigen Millionen Euro – diese Spielräume kann man nicht ausgleichen. Das ist bei uns nicht anders als bei einem der Top-Bundesligaklubs, der nicht in die Champions League kommt.“ Künftig sollen die Nationalspieler stärker nach der erbrachten Leistung bezahlt werden, der Sockelbetrag der Prämien sinkt ab.

 

Erschwerend kommt hinzu, dass wenige Monate vor Start der „Euro24“ der DFB gleich zwei teure Bundestrainer bezahlen muss. Der einst verantwortliche Übungsleiter Hans-Dieter („Hansi“) Flick ist nach anhaltender Flaute freigestellt, die Bezüge (geschätzt sechs Millionen Euro im Jahr) laufen weiter. Als der DFB im Sommer 2021 den Ex-Profi vom FC Bayern München holte, war sogar ein Ablösespiel des Rekordmeisters mit der Nationalmannschaft vereinbart worden. Daraus – und aus mindestens fünf Millionen Euro Erlös – wird wohl nichts mehr. Der DFB hat 2022 fast 1,7 Millionen auf den „Trainerwert“ abgeschrieben. Flick-Nachfolger Julian Nagelsmann wiederum wird für einen Neun-Monate-Einsatz offenbar mit 3,6 Millionen vergütet – ohne dass von einer Aufbruchstimmung viel zu sehen ist.

 

Das damit verbundene Finanzrisiko bleibt. Von insgesamt 156 Millionen Euro Sponsor-Erlösen des DFB sind knapp 80 Prozent auf die Nationalmannschaft zurückzuführen. Da ist es misslich, dass Generalsponsor Volkswagen von Mitte 2024 an nicht länger knapp 30 Millionen Euro jährlich zahlen will. Die Wolfburger planen, weniger mit dem Verbandsfußball zu werben. Alte und neue DFB-Sponsoren sollen die Lücken füllen.

 

Bei den Fernseherlösen – Gesamthöhe: 141 Millionen – liegt der Anteil des A-Teams bei 34 Prozent, hinter Spitzenreiter DFB-Pokal. Insgesamt erbringt die Nationalelf mit rund 190 Millionen Euro rund die Hälfte des Gesamtumsatzes. Sie ist als einzige DFB-Mannschaft profitabel, die Frauen stehen inzwischen immerhin an der Gewinnschwelle.

 

Dem DFB geht es nach offizieller Lesart darum, mit den Millionen der Profifußballer die Millionen Amateure im Land zu unterstützen. Das sei weltweit ein einzigartiger Ansatz. 19 Millionen Euro gingen 2022 an die 21 Landesverbände. Die Mitgliederbeiträge für die Fußballer in den Klubs könnten deshalb weiter bei nur zehn bis zwanzig Euro liegen, heißt es in der Zentrale. Der DFB e.V. selbst erhält auch einige Zuschüsse (6,5 Millionen Euro) – von DFL, Uefa, Fifa und auch in geringer Höhe vom Bund. Von seiner DFB GmbH & KG kassiert er jährlich knapp 4,5 Millionen Euro Miete für den Campus. Daneben vermietet man die in der Nähe gelegene alte Zentrale an die DFB Euro GmbH, die die „Euro 2024“ organisiert, und besitzt im Frankfurter Diplomatenviertel einige Mietwohnungen.

 

Doch solcher Reichtum reicht inzwischen kaum aus für die eigene Ökonomie. Das interne Betriebsergebnis des DFB e.V. lag 2022 bei minus 22 Millionen Euro. Ein zwecks Rendite gehaltener Rentenfonds musste aufgelöst werden: fast 9,5 Millionen Euro kamen so in die Kasse. Es war eine Art Not-Grätsche. Damit machen Wertpapiere in der Bilanz nur noch 30 Millionen Euro Vermögen aus (vorher 80 Millionen). Die „freie Rücklage“ – intern „Schatzkästlein“ genannt – ist zuletzt um mehr als 30 Millionen auf 41 Millionen Euro geschrumpft. Im Jahr 2015 lag sie noch bei 124 Millionen. Damit ließen sich einst Löcher leicht stopfen. Das geht nun nicht mehr.

 

Durch die Gemeinnützigkeit seien die rechtlichen Möglichkeiten zum Wiederaufbau der freien Rücklage begrenzt, erklärt Jan Thielmann, Leiter des Rechnungswesens: Man wolle sie nun nicht weiter schmälern. Für 2023 geht man dennoch – dank Sparkurs – von einem ausgeglichenen Ergebnis aus. Und tröstet sich mit einer guten Kassenlage und üppigen Bankguthaben des DFB e.V.: Deren Bilanzwert stieg von 99 Millionen auf 110 Millionen Euro. Thielmann: „Wir sind weit weg davon, illiquide zu sein.“

Noch besser wäre es, die Nationalmannschaft würde mal wieder öfter gewinnen.