Der Bauunternehmer und Spitzengastronom Felix Eichbauer wagte in der Pandemie einen Neuanfang. Nun kommt die Wirtschaftskrise hinzu. Er verrät, wie er trotzdem durchhalten will – und in seinem „Gemischtwarenladen“ aufräumt.
Ortstermin in München in einem geschichtsträchtigen Gebäude, das sie Anfang der 1970er-Jahre spöttelnd „Feuerwehrwache“, auch „Autobahnkapelle“ nannten. Ein Gourmettempel in Beton, mit großen Fabeltieren, den der Schweizer Architekt Justus Dahinden für den Bauunternehmer Fritz Eichbauer, 95, ersann. Das „Tantris“ war damals revolutionär. Dessen Sohn Felix, 50, führt heute die Geschäfte des Sterne-Restaurants und der Firmengruppe. Er hat alles generalsanieren lassen. Aus einer Küche wurden zwei, die schmutzigen Vorarbeiten in den Keller verlagert. Nach einer mittäglichen Besichtigungstour reden wir im „DNA“ über Tradition, Moderne und die Krise. Hier bestellt man klassische Gerichte à la carte.
HB: Herr Eichbauer, Ihr Vater hat vor 52 Jahren mit dem „Tantris“ das erste Sternerestaurant Deutschlands eröffnet. Er wollte auch in München so gut essen wie in Frankreich. Lässt sich die gastronomische Erfolgsgeschichte fortsetzen?
Wir haben drei Alleinstellungsmerkmale: Eine einzigartige Architektur, ein eindrucksvolles Design der 1970er-Jahre, alles denkmalgeschützt, sowie ein in vielen Jahren gut sortierter Weinkeller. Früh kauften meine Eltern direkt im Burgund. Wir bieten Raritäten glasweise an. Das macht sonst keiner.
HB: Durch nur drei Chefköche – Eckart Witzigmann, Heinz Winkler, Hans Haas – wurde das Lokal zur Legende. Vor zwei Jahren wagten Sie nach der Pandemie mit neuem Konzept und Chefkoch den Neustart. Eine Zäsur mit Risiko.
Das Kollektiv ist bei uns der Star. Wir verteilen die Last auf viele Schultern. Das heißt nicht, dass man nicht ein paar bunte Leute braucht. Die Leute lieben den kochenden Gastgeber. Wir haben aus Frankreich den Chefkoch Benjamin Chmura geholt. Er wird immer selbstbewusster. Sein Vater, einst bekannter Klassik-Generalmusikdirektor, hat ihn bestärkt, nach Deutschland zu wechseln. Ein Aufstieg in der Gastronomie falle dort leichter.
HB: Hans Haas stand 30 Jahre am Herd. Viel Tradition. Die Leute hatten sich an sich an ihn gewöhnt.
Sicher. Er machte alles für alle. Gerade in seinen letzten drei Jahren bis 2019 lief es sehr gut. Alle wollten ihn noch einmal erleben. Die Auslastung lag bei 80 bis 90 Prozent. Da habe ich ehrlicherweise gedacht, wir hätten beim Neustart mehr Rückenwind. Einige Stammgäste kommen nun nicht mehr, dafür sind mehr Jüngere dabei.
HB: Sie müssen eine kleine Krise bewältigen?
Insgesamt sind alle Top-Gastronomen sind nicht da, wo sie vor Corona waren. Mittags läuft es bei keinem rund. Wir bewältigen eine Durststrecke. Pandemie, Krieg, Inflation, das Heizungsthema – das alles prasselte auf die Leute ein. Da sitzt selbst im reichen München das Geld nicht mehr so locker. Und die Konkurrenz ist sehr hart, der Gourmet wird hier verwöhnt. Viele Leute haben zudem sicher noch nicht verstanden, war wir da machen. Rückblickend hätten wir weniger Geld in die Website und mehr in Social Media stecken sollen.
HB: Wie haben sich die Gewohnheiten Ihres Publikums verändert?
Die Menschen wollen nicht mehr so viel essen und trinken, sondern lieber konzentriert genießen und schlank bleiben. Unsere Desserts haben deshalb kein Zucker mehr. Ich glaube, wir müssen noch besser zuhören. Heute sind die aufregenden Lokale oft ein bisschen einfacher.
HB: Was ist mit Forderungen nach mehr Nachhaltigkeit?
Alles, was wir noch an kalifornischem oder australischem Wein besaßen, haben wir verkauft. Wir wollen künftig auch anspruchsvolle vegetarische Menüs anbieten.
Es ist nicht immer klar, was Genuss, was Spleen ist. Felix Eichbauer muss schon mal erklären, warum ein Glas „G Max“ aus Rheinhessen 200 Euro kostet. Das sei doch Wahnsinn, sagte ihm ein Freund. Dann antwortet der Maître de Plaisir, dass eine Flasche des gehypten Rieslings im New Yorker Spitzenrestaurant nun mal 2000 Dollar koste. Dass man so etwas selbst auch anbieten können muss. Marketing ist ein wichtiges Element im Kampf der Spitzenrestaurants, die sich im Restaurantführer „Guide Michelin“ wiederfinden. Diese „Sterne“-Küche ist ein wenig in die Schlagzeilen geraten.
HB: Wie abhängig ist ein Spitzengastronom eigentlich von einem französischen Reifenkonzern, der seit mehr als 120 Jahren „Sterne“ für gutes Essen verleiht?
Die Michelin-Sterne, auf die Sie anspielen, sind in Deutschland für Hotels abseits der großen Routen sehr wichtig. Es gibt aber niemand eine Garantie, dass mit drei Sternen das Haus voll ist. Wichtig ist die eigene Relevanz. Mitarbeiter und Gäste müssen Spaß haben, dann stellen sich vernünftige Bewertungen der Restauranttester von selbst ein.
HB: Ihr Hauptrestaurant hat zwei Sterne, Ihr „DNA“ einen Stern. Wie sehr lockt der dritte Stern?
Das ist für uns schwer. Und es gibt ja auch Leute, die sich von drei Sternen abschrecken lassen, weil sie es für leicht spießig halten. Das „Tantris“ soll locker rüberkommen. Wir wiederbeleben alte Bestandsrezepte und probieren nicht zu hundert Prozent neue Kreationen aus, so wie in der Molekularküche. Von den Produkten her spielen wir jetzt Champions League. Und in der Küche haben wir nicht mehr nur Leute aus Süd- und Nordtirol, sondern auch aus Korea oder Japan. Uns geht es um Auswahl, Qualität und um die Pflege unseres Erbes.
HB: Und das ist zukunftsfähig?
Dieser Zirkus für 90 Gäste ist zu groß, um nur ein Restaurant zu machen. Das Vorbild ist der „Pavillon Ledoyen“ in Paris: Dort gibt es neben dem Drei-Sterne-Restaurant ein japanisches Restaurant sowie ein modernes Bistro. Und rund um den Chefkoch Yannick Alléno gibt es ein globales Reich mit 17 Betrieben, etwa in Dubai, Seul oder Marrakesch. Auch Alain Ducasse lizenziert seine Spitzenküche überall hin, etwa ins „Raffles“ in Singapur.
HB: Sie denken an Skalierung?
Vielleicht können wir irgendwann einmal internationale Partner und Investoren überzeugen, unser Konzept zu übernehmen. Wir haben jetzt die richtigen Leute hierfür. Das hier ist eine Manufaktur, die vieles selbst machen kann, vom Brot bis zur Schokokugel. Davon kann man lernen.
HB: Lohnt sich die Anstrengung am Ende überhaupt? Der Kölner Zwei-Sterne-Koch Vincent Moissonnier gab jüngst nach 36 Jahren auf. Sterneküche sei wie „Formel eins fahren“, sagt er: „Wenn der Motor immer im roten Bereich dreht, platzt er irgendwann.“ Eine Warnung auch für Sie?
Es ist sicher ein sehr anstrengendes Handwerk. Aber man kann damit zurechtkommen. Wir bräuchten im Grunde im gehobenen Gastgewerbe eigene Richtlinien für ökologisches, soziales und ethisches Verhalten. Der Gast muss wissen, dass wir das Personal nicht ausbrennen und uns an die Regeln guter Führung halten.
HB: Der Drei-Sterne-Koch Christian Jürgens fiel am Tegernsee im Hotel „Überfahrt“ mit angeblichen Schikanen gegen Mitarbeiter auf und verlor den Job.
Vor zehn Jahren habe ich ihn auf Gerüchte angesprochen, dass er wohl öfter sehr laut würde. Seine Antwort: Er habe es im Griff. Sein Arbeitgeber hätte ihn besser vor sich selbst schützen müssen. So etwas wie bei Jürgens würde uns nicht passieren. Sicher, zwischen 19 und 21 Uhr muss jeder Handgriff stimmen. Das ist eine stressige Geschichte. Hier hilft aber ein ganzheitliches Konzept. Wir haben eine Vier-Tage-Woche, zahlen gutes Gehalt, beteiligen das Personal am Trinkgeld und stellen Personalwohnungen.
HB: Es gibt auch eine Liste der 50 besten Restaurants, die in der Szene eine Rolle spielt. Da tauchen zwei Berliner Restaurants auf, aber keines aus München.
Das ist der Berlin-Vorteil. Ausländische Touristen reisen nun mal vor allem in die Hauptstadt. Da kann München aufholen. Wir müssen internationaler werden, mehr Amerikaner und Asiaten anziehen. Darauf habe ich Lust. Wir haben im Sommer zusammen mit drei anderen Münchener Sterne-Gastronomen erstmals Journalisten aus dem Ausland zum Restauranttest einfliegen lassen. Im Oktober wollen wir das wiederholen.
HB: Der Wettstreit der Spitzenrestaurants untereinander ist so heftig, dass Chefköche inzwischen öfter als früher nur kurz bleiben. Der Münchner Bar-König Charles Schumann spricht von „Söldnern“.
Dass beim „Alois“ in München Chefkoch Max Natmessnig nach nur einem Dreivierteljahr schon wieder nach New York zurückgeht, ist wirklich sehr ungewöhnlich. Auf dem Niveau locken halt immer Dubai, Hongkong oder Macau. Netto bleibt dort mehr als hier.
Zwei Wochen vor dem Restaurantgespräch mit Eichbauer redeten wir in der Hauptverwaltung seiner Firmengruppe. Ein Bürohaus im neu geschaffenen Quartier „Schwabing Nord“, recht nah beim „Tantris“, zweiter Stock. Rund 25 Millionen Euro setzt die gesamte Gruppe mit 130 Mitarbeitern um. Sogar ein Indoor-Spielplatz in einer Lagerhalle vor München gehört noch dazu. Das Restaurant steht für rund ein Viertel des Geschäfts, aber für hundert Prozent der Aufmerksamkeit. Über den 2025 anstehenden 100. Geburtstag der Baufirma hat sich der Chef noch keine Gedanken gemacht. Über ihn selbst wurde bekannt, dass er 2018 den Grünen 50.000 Euro spendete. Offenbar präferierte er damals vor Bayerns Landtagswahl ein schwarz-grünes Bündnis. 2023 – es ist wieder Wahl – will Eichbauer nicht spenden.
HB: Wie sehen Sie das Verhältnis der Gesellschaft zu Ihrem Geschäft?
Die Politik tut sich wahnsinnig schwer mit Genuss und Spitzengastronomie. Dabei ist es Handwerk, Handwerk, Handwerk. Das verdient Anerkennung, Aber schauen Sie einmal, zu was der bayerische Ministerpräsident in seinem Blog #söderisst greift…
HB: …zu Pommes und McRibs.
Große Gastronomie kommt da jedenfalls nicht vor. Wenn Markus Söder schon so fremdelt, wird klar, wo die Probleme liegen. Die Politik hat Berührungsängste mit dem Thema Luxus. Wer 500 Euro für die Rechnung zahlt, gilt als „snobbish“. Es gibt in der Öffentlichkeit auch eine Neid-Debatte. Das nervt. Genuss ist etwas Schönes. Und wir bieten mittags Essen, das nicht so teuer sind. In Frankreich dagegen hält der Präsident eine Rede, wenn die besten Sterne-Restaurants prämiert werden – und im Kinderhort gibt es jeden Tag einen anderen Käse.
HB: Unzufrieden mit der Politik?
Man ist verzweifelt im Mittelstand. Nötig wäre generell eine Strategie, um unsere Stärken zu sichern. Aber nirgend sehe ich einen Masterplan. Man weiß nicht, wem man vertrauen kann. Ein Wechsel von 7 auf 19 Prozent Mehrwertsteuer für Restaurants, wie derzeit diskutiert, würden etliche nicht überleben.
HB: Dabei sprachen Sie zum 50. Geburtstag vom „Tantris“ als einem „vierten bayerischen Weltwunder“, nach BMW, FC Bayern München und dem Oktoberfest.
Wir könnten das beste Restaurant der Welt werden. Das hatte sich der Schweizer Daniel Humm auch vorgenommen – und schaffte es mit dem „Eleven Madison“ in New York. Er kocht mittlerweile vegan und war bei unserem Jubiläumsfest da. Auch einige bayerische Spitzenpolitiker kamen. Die Stadt, die Leute müssen das Restaurant tragen. Ich selbst kann damit leben, wenn es irgendwann kein „Tantris“ mehr geben sollte. Das ist Wirtschaft. Ich könnte nicht damit leben, wenn mich meine Kinder einmal fragen sollten, warum ich da so viel Familienvermögen verbraten habe.
HB: Ihr Vater bekannte, von dem Geld, dass er ins „Tantris“ steckte“, hätte er auch ein Schloss kaufen können.
Das war wohl übertrieben. Nur in den ersten Jahren war es tiefrot. Vielleicht hat er quersubventioniert durch den benachbarten Wohnturm, den er baute. Man hatte anfangs alles ausprobiert, auch mal eine Bar namens „Los Paraguayos“. Vor der Pandemie hatten wir zehn Prozent Rendite.
HB: Stimmt es, dass zehn Monate Sanierung und Umbau Sie zehn Millionen Euro gekostet haben?
Ganz so viel sind es nicht geworden. Mir war immer klar: Das wird ein heißer Ritt. Es wäre auch ein guter Zeitpunkt gewesen, aufzuhören. Der Strom-Verteilerkasten mit Keramik-Sicherungen war reif fürs Deutsche Museum. Das „Tantris“ ist kein Hobby. Jeder Mitarbeiter kann nur glücklich sein, wenn der Betrieb Erfolg hat. Ich habe das nicht gemacht, um mir oder meinem Vater ein Denkmal zu setzen.
HB: Ihr Familienunternehmen besitzt weiter die Baufirma, mit der 1925 alles anfing. Was ist die Philosophie dieser Gruppe?
Die Baufirma ist nach wie vor der Kern. Sie produzierte in Zeiten des Großvaters Betonfertigteile, Dachziegeln und Holz selbst. Mein Vater nutzte die Wiederaufbauphase nach dem Zweiten Weltkrieg und lastete die Firma zu 80 Prozent mit eigenen Projekten aus. Heute haben wir keine Lkw und Kräne mehr, sondern sind reiner Projektsteuerer. Wir bieten perfekten Service und trauen uns, „schlecht“ im Preis zu sein, also mehr als andere zu verlangen. Dafür brauchen wir gute Leute. Diese Zielrichtung gilt für die ganze Gruppe.
HB: Ihr Vater, der etwa das Olympische Dorf hochzog, galt als „Baulöwe“…
…das hätte ich mir nicht zugetraut. Ich manage das Unternehmen. Streng genommen sehe ich mich als Stratege und CFO, als oberster Finanzchef. Die Generation meines Vaters, das waren schon mehr Hasardeure. Der sagte einem Bankvorstand, er brauche auch zwei Millionen Gewinn, und bekam das finanziert. Das geht heute nicht mehr. Bedauerlich ist nur, dass wir die Fonds für unsere Bauprojekte nicht selbst aufgelegt haben. Das große Geld steckt im Financial Engineering.
HB: Sie selbst haben als Investmentbanker und Berater für Fusionen und Übernahmen gearbeitet.
Mein Vater hat mich auf die Nachfolge nicht vorbereitet. Ich hätte mit ihm auch nicht zusammenarbeiten können. Er traf immer seine eigenen Entscheidungen. So lange wie es die Gesundheit erlaubte, wollte er sein Ding machen. Als wir einen Schiefstand bei einer Immobilie hatten mit 50 Prozent Leerstand, half ich, ein Portfolio zu verkaufen. Da habe ich den Wert der Firma besser verstanden. Im Private Equity machst Du mal Zement, mal Baustoffhandlung, mal Schokolade, mal Mikrochips. Da baut sich Transaktionserfahrung auf – aber richtig Unternehmer wirst Du nie.
HB: Sie besitzen auch ein Weingut in der Toskana, woher das „Tantris“ Weine bezieht.
Meine Familie lebt jetzt dort. Die zwei Kinder gehen in Siena in die Schule. Ich selbst bin nur noch zehn Tage im Monat in München. Vieles geht online. Wir wollen es ausprobieren. Sicher ist, dass unsere 20.000 Flaschen Brunello di Montalcino gute Preise bringen. Wir haben dort auch Schweine, Esel, Hühner. Alles biodynamisch.
HB: Wo haben Sie selbst bisher am besten gegessen?
Ich wollte mal alle 130 Drei-Sterne-Restaurants der Welt sehen. Allein in 45 bin ich als Kind mit meinen Eltern gewesen. Bei 88 bin ich dann steckengeblieben.
HB: Es war zu anstrengend?
Ja. Ich arbeite daran, achtsamer zu leben, mit regelmäßiger Kur, mit Yoga und Personal Training. Vor sieben Jahren hatte ich einen Herzinfarkt. Vorbilder sind für mich Menschen, die sich fokussieren können. Derzeit versuche ich etwas aufzuräumen in meinem Gemischtwarenladen. Alles muss einen Sinn haben für die nächste Generation.
HB: Vielen Dank für das Gespräch.