Europa und seine Chancen beim Trendthema Künstliche Intelligenz: Interview mit DLD-Mitgründerin Steffi Czerny über die digitale Konkurrenz, die neuen Zuckerbergs und die Mission ihrer Konferenz.
Digitalisierung ist heute für Steffi Czerny, 69, was vor 150 Jahren die Elektrifizierung für die Welt war. „Ohne Generative KI, Robotics oder auch Quantum-Technologie wird es bald nicht mehr gehen“, sagt die studierte Politologin und ausgebildete Journalistin, die für den Medienunternehmer Hubert Burda, 83, seit 2005 die internationale Konferenz-Plattform „Digital Life Design“ (DLD) hochgezogen hat. Sie hat regelmäßig Stars der Internetszene aber auch Künstler und Künstlerinnen wie Lady Gaga angezogen.
Man müsse lernen, sich auf Themen wie Künstliche Intelligenz einzulassen, „jetzt beginnt eine neue Welt“, erklärt die Chefin und Mitgründerin der Konferenzmarke DLD, die vom 11. bis 13. Februar 2024 rund 150 Speaker und 1600 Teilnehmer nach München eingeladen hatte: „Journalisten tun das vielleicht, aber was ist zum Beispiel mit den deutschen Lehrern oder Kindergärtnerinnen? Für die ist das alles sehr weit weg. So wie die KI mit unseren Daten trainiert, so muss die Gesellschaft für den großen digitalen Umbruch trainieren, der auf uns zukommt.“ So gehe es etwa um personalisierte Medizin oder digitalisierte Pflege.
Den Willen zur Veränderung müssten „wir noch viel breiter streuen“, erklärt Czerny. DLD sei „eine große Vernetzungskonferenz“, auf der ein Funke zünden soll – Menschen lernen sich über die Debatte kennen und arbeiten später zusammen, so das Ziel. In der besseren Selbstvermarktung sieht die Burda-Chefin einen Grund, warum die Amerikaner den Europäern im Internet überlegen seien: „Hat ein junger Unternehmer aus den USA Erfolg, wird er rasch von erfahrenen Kommunikationsprofis durchgetaktet und auf öffentliche Auftritte eingestellt. Locker sind sie nur am Anfang.“ Sie interessiere aber vor allem, wer die neuen Mark Zuckerbergs seien. Czerny: „Es ist borniert, immer nur nach Silicon Valley oder New York zu schauen. Manche Inspiration gibt es für uns heute eher in Cluj, Sofia oder Lagos.“ So wolle der DLD dem Ruf gerecht werden, „immer vorne dran zu sein“.
HB: Frau Czerny, Sie begannen 2005 im Nymphenburger Schloss als „Digital Lifestyle Day“. Seitdem begleiten Sie eine Welt im Umbruch. Ist digitale Revolution Ihre Routine?
Steffi Czerny: Anfangs hatten wir uns einfach nur vorgenommen, ein paar interessante Leute zusammenzubringen, um über die Digitalisierung zu sprechen. Es kamen die Samwer-Brüder, ein paar Designer oder die Flickr-Gründerin Caterina Fake. So ging es immer weiter. 2008 holte ich Mark Zuckerberg, damals ein schüchterner junger Mann mit vielen Pickeln, dessen Facebook in Europa gerade mal zwei Millionen Nutzer hatte. Social Media startete – und heute beginnt wieder eine ganz neue Welt. Routine? Ich bin viel aufgeregter als damals.
HB: Sie spielen auf Künstliche Intelligenz (KI) an, dem unvermeidlichen Dauerthema.
Am Anfang redeten wir über E-Commerce oder Handy-Klingeltöne. Das war nur das Vorspiel. Nun ist die Infrastruktur gebaut, die Leute sind online, meist mit dem Smartphone. Jetzt beginnt das Hauptspiel. Was vor 150 Jahren die Elektrifizierung für die Welt war, ist heute die Digitalisierung. Auf dieser Basis geht es weiter: Ohne Generative KI, Robotics oder auch Quantum-Technologie wird es bald nicht mehr gehen.
HB: Davon sprechen viele. Was genau wann kommt, kann niemand prognostizieren.
Wir müssen uns darauf einlassen, je früher, desto besser – weil sich der Prozess beschleunigt. Fünf, sechs große Plattformen bestimmen mittlerweile die moderne Welt. Und sie richten ihre ganze Kraft auf KI. Unter ihnen liefern sich derzeit Microsoft und Open AI mit Google und Gemini einen geradezu titanenhaften Kampf. Und der ist bei weitem noch nicht zu Ende. Dabei hatte das ganze Silicon Valley einst auf Sam Altman und sein Open AI als philanthropisches Unternehmen gesetzt.
HB: Wenn es so ist, könnten Sie die DLD 2024 gleich in einen KI-Kongress umwandeln. Viele Einzelveranstaltungen handeln davon.
Wir wollen auf keinen Fall als Software-Tagung enden. Bei uns geht es um die großen Fragen rund um Wirtschaft, Wissenschaft, Philosophie, Kultur, Medien und Gesellschaft. Was macht Technologie mit unserer Welt? Wie werden wir leben? Deshalb heißt unser Motto diesmal: „Dare to know“ – wage es, zu wissen.
HB: Ein Übermaß an KI-Geschichten wird täglich jedem frei Haus geliefert. Wo ist da das Wagnis?
Man muss eben lernen, sich einzulassen. Journalisten tun das vielleicht, aber was ist zum Beispiel mit den deutschen Lehrern oder Kindergärtnerinnen? Für die ist das alles sehr weit weg. So wie die KI mit unseren Daten trainiert, so muss die Gesellschaft für den großen digitalen Umbruch trainieren, der auf uns zukommt. Was bedeutet personalisierte Medizin? Oder digitalisierte Pflege? Den Willen zur Veränderung müssen wir noch viel breiter streuen.
HB: In der Debatte um KI stehen Euphoriker, denen es nicht schnell genug gehen kann, gegen Apokalyptiker, die das Ende der Menschheit befürchten. Dazwischen finden sich die Pragmatiker. Wie gehen Sie damit um?
Wir haben interessante Professoren aus allen drei Lagern eingeladen. Das ist doch der Reiz! Es kommen der rundum zuversichtliche Mathematiker Markus Gabriel, die Endzeit-Philosophin Sarah Spiekermann und der Harvard-Literaturprofessor Martin Puchner, für den sich Geschichte wiederholt. Die DLD ist eine große Vernetzungskonferenz. Hier soll ein Funke zünden – Menschen lernen sich über die Debatte kennen und arbeiten später zusammen. Ich bin davon überzeugt, dass Themen erst durch Menschen erfahrbar werden.
HB: Das ist Ihre Mission?
Heutzutage macht die KI in der Welt die Mustererkennung, bei DLD mache ich sie. Wer passt zu wem? Dabei hilft mir kein Algorithmus, das mache ich lieber selbst. Es wird auch in Zukunft am Ende immer auf den eigenen Hirnkasten ankommen.
HB: „Matchmaking“ geht also vor Agenda Setting?
Nein, das geht Hand in Hand. Durch das Zusammenbringen unterschiedlicher Leute setze ich die Agenda. Es kommt stark auf meine Intuition für die jeweilige Person an. Bei Mark Zuckerberg war zum Beispiel von Anfang an diese bedingungslose Hingabe für ein Thema zu spüren. Das finden Sie auch bei anderen erfolgreichen, aber auch fast autistischen Personen wie Elon Musk oder Sam Altman und auch bei vielen Investoren.
HB: Stars der US-Tech-Szene laufen sich bei Ihnen warm für das kurz darauffolgende Weltwirtschaftsforum in Davos.
Inzwischen gibt es einige, die überaus zufrieden von der DLD direkt wieder in die Staaten zurückfliegen. Wir sind ein Gastgeber, der seine Gäste aktiv kuratiert.
HB: US-Digitalpioniere sind, auch mit ihrer Show auf Tech-Tagungen, weitaus aktiver in der Selbstvermarktung als Akteure hierzulande. Ist das ein wichtiger Grund für die amerikanische Überlegenheit im Internet gegenüber Europa?
Das kann sein. Hat ein junger Unternehmer aus den USA Erfolg, wird er rasch von erfahrenen Kommunikationsprofis durchgetaktet und auf öffentliche Auftritte eingestellt. Locker sind sie nur am Anfang. Dann senden sie nur noch vorgeschriebene Nachrichten und Botschaften, wie aus der Konserve. Total langweilig. Interessant sind für mich offene Systeme, Brüche und Widersprüche.
HB: Was würden Sie Zuckerberg heute sagen?
Vieles ist bei dir schiefgelaufen, lieber Mark! Ich würde ihn zwar wieder für die DLD nehmen – aber, ehrlich gesagt, interessiert mich eher, wer die neuen Zuckerbergs sind. Wo liegt die Zukunft? Deshalb setzen wir uns zum Beispiel sehr stark mit dem 210-Millionen-Einwohner-Land Nigeria auseinander sowie mit Osteuropa. Es ist borniert, immer nur nach Silicon Valley oder New York zu schauen. Manche Inspiration gibt es für uns heute eher in Cluj, Sofia oder Lagos. So wollen wir unserem Ruf gerecht werden, immer vorne dran zu sein.
HB: Wenn es um Selbstvermarktung geht, müsste auf der DLD der Lidl-Milliardär Dieter Schwarz auftreten. Er steckt wie kein anderer viel Geld in KI aus Deutschland.
Zu uns kommen seine Manager. Und vielleicht waren sie es ja, die ihn von den KI-Projekten überzeugt haben. Wenn Rolf Schumann, der Digitalchef der Schwarz-Gruppe, auf unserem Chairmen’s Dinner die Künstlerin Holly Herndon trifft, entsteht vielleicht etwas ganz Neues. Das Magazin „Time“ zählt sie zu den 100 wichtigsten Personen rund um KI.
HB: KI-Investor Dieter Schwarz hat noch nie ein Interview gegeben. Glauben Sie, dass Europa dank ihm mit den USA wettbewerbsfähig ist?
Seine Investitionen sind sicher immens wertvoll, denn im Hinblick auf die Finanzierung sind Amerika und Europa immer noch in unterschiedlichen Größenordnungen unterwegs. Wenn wir in Europa künftig mit den USA auf diesem Feld mithalten wollen, brauchen wir zusätzlich eine ganz andere Ausbildung des Nachwuchses. KI fängt in der Schule und sogar im Kindergarten an. Die Internet-Pionierin Esther Dyson wird das bei uns auf den Punkt bringen. Sie fragt: „Warum investiert ihr in KI und nicht in eure Kinder?“
HB: Wie zufrieden sind Sie mit dem Prominenten-Aufgebot bei der DLD 2024?
Zufrieden bin ich nie, weder davor noch danach. Es gibt immer wichtige Personen, die ich gerne eingeladen hätte. Auch wenn ich im nächsten Juli 70 werde, bleibe ich extrem neugierig. Wer sind diejenigen, die unsere Welt verändern? Was kann man von ihnen lernen? Und: Kann man sie beeinflussen, diese Welt besser zu machen? Vielleicht ist das naiv. Vielleicht bin ich noch immer die enthusiastische Hausfrau aus Kreuth, die es liebt, Menschen zusammenzubringen. Und die stets optimistisch bleibt. DLD hat jedenfalls Wirkung, denn auch wenn viele unserer Speaker heute noch nicht prominent sind, lade ich Menschen ein, die es zukünftig sein werden.
HB: Es ist ein Drei-Tages-Festival, auf dem vieles beredet wird. Maßnahmen und Verhaltensänderungen erwachsen kaum daraus.
Es gibt eine ganze Reihe unternehmerischer Projekte, die auf den DLD-Fluren ihren Anfang genommen haben, bei Burda und bei vielen anderen Firmen. Und im Hinblick auf Verhaltensänderungen kann ich sagen, dass wir immer wieder mit den Leuten sprechen, die bei uns waren und sie fragen: Was haben Sie geleistet? Wo leben Sie Verantwortung?
HB: Kriege werden heute via KI über Drohnen und Satelliten entschieden. Das spielt eine große Rolle im Nahostkrieg. Wie wird sich der DLD-Mitgründer Yossi Vardi diesmal einbringen, der Patron der Start-up-Szene in Israel?
Er ist aktuell sehr deprimiert. Mit ihm hat Burda vor 25 Jahren den DLD-Vorläufer „Cool People in the Hot Desert“ angeschoben. Damals haben wir junge deutsche Unternehmer in die High-Tech-Nation Israel gebracht. Yossi sprach immer davon, dass Israel die Verständigung mit den Palästinensern gelingen müsse. Immer hat er Palästinenser zum DLD eingeladen. Diesmal kommt keiner. Yossis Vision und sein Lebenswerk ist durch die Radikalisierung auf beiden Seiten bedroht. Er wird dazu reden.
HB: „Die Wurzel jeder noch so globalen Kommunikation liegt immer an einem Ort“, formuliert der Soziologe Peter Kammerer, ein enger Freund des Hauses Burda. In Zeiten von KI ist das doch aufgelöst.
Es gibt da – technisch – keine Verortung mehr. Umso wichtiger ist es für die Menschen, sich zu treffen und Räume zu haben, um sich gegenseitig auch physisch wahrzunehmen. „Connect the unexpected“ lautet ein sehr alter Ansatz dieses Hauses. So begegneten sich bei uns der New Yorker Marketing-Professor Scott Galloway und die US-Journalistin Kara Swisher – die heute einen extrem erfolgreichen Podcast zusammen machen. Und 2016 habe ich die Wissenschaftler Svante Pääbo und Anton Zeilinger aus organisatorischen Zwängen zusammen auf ein Podium gesetzt – 2022 bekamen beide einen Nobelpreis.
HB: Die Konferenz DLD macht viel Wirbel. Ist sie auch profitabel?
Wir tun alles, um profitabel zu sein. Natürlich strahlt die Marke DLD auf die Innovationskraft von Burda ab, und umgekehrt. Vor 20 Jahren sind Burda-Manager nicht auf Tech-Konferenzen gegangen. Also mussten wir die spannendsten Treiber der neuen Welten zu uns ins Haus holen.
HB: Burda ist heute als Investor an etlichen Start-ups beteiligt, etwa an der deutschen KI-Firma Aleph Alpha.
Hubert Burda war der erste deutsche Verleger, der das Internet begriff. Hätte sich das Unternehmen Burda früh an vielen der aufstrebenden DLD-Gastfirmen wie zum Beispiel Facebook beteiligt, wir wären heute ein anderes Unternehmen. Aber das war nie der Punkt. Es ging darum, Menschen zum Wohl aller zusammenzubringen. Die DLD ist innerhalb einer großen Unternehmensgruppe eine kleine Firma, auf die inzwischen alle stolz sind.
HB: Wie weit kann die Marke DLD noch ausgebaut werden?
Der Peak wird nie erreicht sein. Wichtig ist, dass wir nicht immer dieselben Leute einladen. Wir brauchen frisches Blut. Für neue Projekte sind wir immer offen.
HB: Gibt es jemanden, den Sie unbedingt haben wollten und nie bekamen?
Nein. Aber es gibt jemanden, den ich definitiv falsch platziert habe, und den ich sehr gerne nochmal bei uns hätte. Das war Demis Hassabis von der Google-KI-Tochter Deep Mind, der die Welt verändern wird. Ich setzte ihn neben den Münchener Kardinal Reinhard Marx. Die Idee war, dass die beiden sich über Gott und Schöpfung viel zu sagen hätten. Das war ein Irrtum. Hassabis würde ich das nächste Mal über seine eigenen Visionen reden lassen.
HB: Werden Sie noch viele Jahre die DLD leiten?
Sicher! DLD ist meine Love-Brand. Und ich bin sehr stolz auf mein kleines Team, gerade weil ich weiß, dass am Ende jeder Mensch ersetzbar ist.