Der Dax-Konzern Continental verbündet sich mit dem aufstrebenden Münchener Start-up Deep Drive. Ein neuer Antrieb in Autorädern soll Elektromobilität von Grund auf verändern.
Sein eigenes Geschäft erlebt der Münchener Start-up-Unternehmer Felix Pörnbacher zuweilen als „gelebte Schizophrenie“. Einerseits brauche eine innovative Firma einen Schuss Wahnsinn, andererseits müsse man der etablierten Autoindustrie signalisieren: „Wir sprechen Eure Sprache und halten uns an Standards.“ Der Job eines Automanagers sei nun mal gefährdet, „wenn er uns Geld gibt und sich das Ganze nicht rentiert.“
In dieser Situation ist Pörnbachers Jung-Firma Deep Drive einen wichtigen Schritt weiter: Sie hat eine strategische Zusammenarbeit mit dem Dax-Konzern Continental für den Wachstumsmarkt Elektromobilität vereinbart, wie das Handelsblatt erfuhr. Bei der spektakulären Allianz geht es um Antriebssysteme mit integrierter Bremse, die in den Radnaben von Autos sitzen. Schon vor einigen Monaten hatte sich der bekannte Autozulieferer aus Hannover – neben BMW und Venture-Capital-Firmen – an einer Finanzierungsrunde von Deep Drive beteiligt, die insgesamt 15 Millionen Euro erbrachte.
Von einem „wichtigen Baustein für unseren zukünftigen Geschäftserfolg“ spricht Matthias Matic, Leiter des Geschäftsfelds Safety and Motion bei Continental. Das geplante innovative Antriebssystem sei „eine ideale Ergänzung zu unserer langjährigen Bremsenexpertise“. Bei Deep Drive handele es sich um einen „perfekten Partner, mit dem wir gemeinsam und nachhaltig die Marktdurchdringung der Elektromobilität vorantreiben können“. Über Continental sollen große Autobauer leichter als Kunden gewonnen werden.
Deep-Drive-Manager Pörnbacher hält es nach dem Deal für sicher, dass aus der eigenen Erfindung eines Doppelrotor-Motors ein großer Erfolg werden könne: „Bisher hieß es: David gegen Goliath. Nun heißt es: David mit Goliath.“ Als junges, kleines Unternehmen sei man zwar auf einen „großen Bruder“ angewiesen, der allerdings brauche auch wiederum jemanden wie Deep Drive. Gemeinsam sei man überzeugt, „die Elektrifizierung von Fahrzeugen zu revolutionieren“.
Schon Ende des 19. Jahrhunderts hatte mit dem „Lohner-Porsche“ ein über die Räder angetriebenes Elektroauto den Beginn des Automobilbaus markiert. Nun sorgt die von Deep Drive entwickelte Technik für mehr Reichweite. Die E-Fahrzeuge sind leichter, billiger und ressourcenschonender, heißt es bei Continental. Auch könne man beim Bremsen mehr Energie zurückgewinnen. Deep Drive schätzt, dass die Radnabenlösung künftig rund zehn Prozent der Antriebslösungen bei E-Autos ausmachen wird. „Wir haben ambitionierte Ziele“, erklärt Geschäftsführer Pörnbacher: „In der Autoindustrie ist man auf Skalierung angewiesen. Das ist Hard Automotive.“
Bis 2026 sollen Dutzende von Millionen Euro in die Entwicklung einer ersten Groß-Serie fließen. Als ersten Meilenstein planen die beiden Neu-Partner einen Auftritt bei der Consumer Electronics Show (CES) im Januar 2024 in Las Vegas. Dort soll ein erster Prototyp präsentiert werden. Continental und Deep Drive sprechen nach eigener Auskunft derzeit weltweit mit führenden Automobilherstellern – vor allem in Europa, China, Japan, Südkorea und den USA. Zunächst gehe es um Anwendungen bei Kleinwagen und im Mittelklassesegment. Die Wendigkeit der Pkw im Innenstadtverkehr soll so gesteigert werden. Über den Fortgang der Innovationen wacht ein „Steering Committee“ mit sieben Mitgliedern.
Deep Drive ist aus dem Öko-System rund um Europas größtes Gründerzentrum UnternehmerTUM in München entstanden, einem An-Institut der dortigen Technischen Universität. Die sieben Gründer hatten sich – bis auf eine Ausnahme – bei Arbeiten an selbstkonstruierten Rennautos für die „Formula Student“ kennengelernt. Für die Gründung von Deep Drive 2021 waren sie aus aussichtsreichen Jobs bei etablierten Konzernen ausgestiegen. Pörnbacher beispielsweise war Investmentbanker in London. Unter den Gesellschaftern befindet sich auch Ex-Audi-Vorstand Peter Mertens.
Bis Jahresende hat Deep Drive (70 Mitarbeiter) noch seinen Sitz auf einem abgelegenen Industriegrundstück im Münchener Stadtteil Allach. Dann will man, nach nur anderthalb Jahren, auf ein weit größeres Gelände umziehen – nach Garching-Hochbrück, in die Nähe der TU und den Büros möglicher Kunden. Derzeit sucht man Ingenieure, die schon 10 bis 15 Jahre Erfahrung in der Industrie gesammelt haben.
Das Ziel sei, „planmäßig auf Erfolge hinzuarbeiten“, erläutert Geschäftsführer Pörnbacher. Wichtig sei, die „Exekution hochzufahren“ und diszipliniert zu sein. Gleichzeitig solle der Schwung erhalten bleiben, man wolle weiter mit nur drei, vier Formularen auskommen: „Der Druck ist hoch, wir haben noch kein fertiges Produkt.“ Konkurrenten im Markt seien Protean Electric (China) und Elaphe Propulsian Technologies (Slowenien). Der eigene Umgang mit chinesischen Firmen sei „rational und pragmatisch“. Irgendwann stelle sich womöglich die Frage, ob man selbst nach China gehe; schließlich säßen dort viele wichtigen E-Autobauer. Derzeit würden Sondierungen laufen, auch wenn man sich selbst als Teil der „europäischen Schlüsseltechnologie“ sehe, so Pörnbacher.
Kapital ist bei Deep Drive nach eigenen Angaben noch genügend vorhanden. Die nächste Finanzierungsrunde sei für Anfang 2025 angesetzt. Wenn aber zum Beispiel eine internationale Ansiedlung nötig sei, müsse man früher an den Kapitalmarkt ran und werde über hohe zweistellige Millionen-Beträge reden, heißt es im Unternehmen. Die aktuelle Diskussion über niedrigere Bewertungen von Start-ups und erlahmendes Investorenverhalten berühre die Firma nicht, sagt Pörnbacher. Die Finanzierung durch Continental, BMW und andere im März 2023 sei der Wendepunkt gewesen.
Deep Drive hat insgesamt acht Patente beantragt, vier sind erteilt. Künstliche Intelligenz setze man ein, um Simulationen besser zu gestalten. „Die Technologie und die Menschen dahinter“ hätten ihn von Deep Drive überzeugt, sagt Continental-Manager Matic. Die Teams beider Firmen arbeiteten mit großer Begeisterung und Leidenschaft zusammen. Nur am Rande werden dabei Strategie-Arbeiten im Aufsichtsrat von Continental registriert, künftig womöglich im Konzern ganz auf Gummi zu setzen und Continental als Reifenproduzent zu führen. Alle anderen Aktivitäten, auch die Brems-Novitäten, würden dann verkauft.
Deep-Drive-Lenker Pörnbacher setzt ungeachtet solcher Fragen voll auf die nun geschlossene Partnerschaft: „Das ist ein Ritterschlag. Wir sind in der neuen Welt.“