Die Großereignisse in der Medienwelt überstürzen sich. Sie hatten zuletzt in einem viel beachteten Artikel für das „Handelsblatt“ argumentiert, dass Bertelsmann-CEO Thomas Rabe Gruner + Jahr nicht gut dastehen ließ, um daraus umfangreiche Umbaumaßnahmen abzuleiten. Was treibt ihn Ihrer Ansicht nach wirklich an und welches Ziel kann rechtfertigen, so viel Porzellan zu zerschlagen in einem ehemaligen Traditionsverlag?
Print ist out für Bertelsmann. Strategisch sind alle Druckgeschäfte mit Zeitungen und Zeitschriften dort schon vor einigen Jahren für langfristig tot erklärt worden. Die sogenannte Portfolioüberprüfung, wie das immer so schön heißt, hat ergeben, dass man sich von den Beteiligungen und von dem Engagement in diesem Bereich weitgehend trennt. Diese Politik verfolgt Thomas Rabe mit eiserner Härte. Und dies, nehme ich mal an, in guter Abstimmung mit der Gesellschafterfamilie.
Niemand wird Rabe widersprechen, dass sich die Welt ins Digitale entwickelt hat. Bis vor Kurzem stand G+J aber noch für einige Sonderphänomene, die Print rechtfertigen, wie das Joint-Venture-Magazin „Landlust“ oder „11 Freunde“. Warum hat der Abschied von Print bei Thomas Rabe so einen messianischen Zug der Entschlossenheit?
Vielleicht weil die Erkenntnis gewachsen ist, dass man die Transformation nicht früh genug angepackt hat und nicht radikal genug war. Man hat in Hamburg offenbar zu sehr auf Zeit gespielt, was andererseits heißt: man hat Zeit vergehen lassen. Hinter G+J liegen Jahre des Attentismus.
Wie meinen Sie das genau damit – Zögern und Abwarten?
Es gab zu lange keine entschiedenen Investitionen bei Gruner + Jahr, um den digitalen Wandel zu beschleunigen. Mit dem Ergebnis, dass man sich in der jetzigen Position wiederfindet, die nicht den Ansprüchen und den Erwartungen von Gütersloh genügt.
Wie muss man das verstehen?
Letztlich steht Thomas Rabe als CEO bei den Gesellschaftern im Wort, die versprochene Rendite zu liefern. Unter solchen ökonomischen Gesichtspunkten schneiden die Verlage mittlerweile unterdurchschnittlich ab. Man vergleicht dann gerne die Renditezahlen von RTL aus dem Free-TV-Fernsehgeschäft mit denen des Verlagsgeschäfts, und da gibt es einen Riesenunterschied. Dies beschleunigt die Mission, die sich Herr Rabe vorgenommen hat.
Sie haben zuletzt selbst argumentiert, dass Rabe durchaus auch dazu neigt, diese Situation zu seinen eigenen Gunsten manchmal ein wenig zu dramatisieren – etwa durch das Herausrechnen von Geschäften wie der Corporate-Publishing- Einheit Territory.
Wie viel beschrieben, sind hier Taschenspielertricks angewandt worden, um Gruner + Jahr im Vergleich noch schlechter aussehen zu lassen. Mit dem Ziel, diesen doch abrupten Wandel, verbunden mit dem Verlust von so vielen Arbeitsplätzen, besser darzustellen. Das aber ändert nichts daran, dass diese Gewaltaktion schädlich ist für das Image von Bertelsmann.
Inwiefern?
Wir sprechen von einem Konzern, der stets ethische Ansprüche formuliert hat – insbesondere unter dem langjährigen Konzernpatron Reinhard Mohn. Jetzt lässt Bertelsmann moralische Minima vermissen.
Dass es den beschriebenen digitalen Wandel gibt, ist ja keine neue Erkenntnis. Allerdings hat sich die Geschwindigkeit deutlich erhöht, mit der radikal Weichen umgestellt werden. Man sieht dies auch am Beispiel Springer. Das kann doch nicht nur an den drastisch gestiegenen Papierpreisen liegen?
Die sind zuletzt auch wieder gesunken. Bertelsmann hat insgesamt ein Problem mit dem Internet. Vielleicht hängt das mit der einstigen Regentschaft von Thomas Middelhoff zusammen. Er wollte mit gewaltigen Investitionen das Internet erobern, Familie Mohn hätte langfristig die Mehrheit an der Company verloren. In einer Art Notbremse wurde er dann aus dem Amt des CEO entfernt. Danach gab es bei Bertelsmann einen Internet-Schock.
Wie meinen Sie das?
Man hat die angelaufenen Investitionen nicht fortlaufen lassen – bis auf das Unglückskind Lycos Europe, wo Christoph Mohn damals bekanntlich der Leiter war. Fast alle anderen Aktivitäten wurden zurückgefahren. Der mit Clubs groß gewordene Bertelsmann-Konzern hätte das „deutsche Amazon“ werden können. Nun spielt man eine Nebenrolle. Das Online-Education-Geschäft, in das Gelder flossen, weckt Hoffnungen, ist aber nicht stark genug. Deswegen gab es einen Strömungsabriss. Jetzt – nach so vielen Jahren – auf die Idee zu kommen, Print und Fernsehen gut zu verbinden, ist schon wundersam. Unter dem Stichwort „Synergie“ wird viel Unsinn erzählt.
Was passt hier nicht?
Diese Übungen hatte sich Gruner + Jahr doch schon in den 1990er-Jahren vorgenommen – siehe „Brigitte TV“. Das Entscheidende wäre gewesen, Plattformen zu schaffen, also die guten Inhalte des Hauses auf allen Kanälen zu verbreiten. Aber dieser Plan wäre mit Investitionen verbunden gewesen, Zukunft gibt’s nicht gratis. Thomas Rabe muss sich als Aufsichtsratschef von Gruner + Jahr – seit dem Jahr 2012 aktiv – den Vorwurf gefallen lassen, diese strategische Arbeit verpasst zu haben.
Gegenüber scharfer Kritik am aktuellen Radikalumbau war von Rabe oft zu hören, das G+J-Management habe diese Entscheidungen falsch getroffen und die Weichen nicht richtig gestellt.
So einfach ist das nicht, so einfach kann man es sich nur machen, wenn man einen Schuldigen braucht. Investitionspläne müssen vom Aufsichtsrat genehmigt werden, und der war natürlich von der Konzernmutter in Gestalt von Thomas Rabe beherrscht. Es ging doch vor allem um eine schön maximale Dividende. G+J hat über Jahrzehnte die Kasse in Gütersloh mit Milliarden gefüllt. Für eine eigenständige Entwicklung in die digitale Zeit hat es leider nicht gereicht.
Ist denn angesichts dieser Wankelmütigkeit überhaupt ernst zu nehmen, was dann jetzt doch an Investitionsankündigungen im Raum steht? Es soll ja massiv in die digitale Ausgestaltung des „Stern“ investiert werden.
Das sind keine Lippenbekenntnisse, sondern notwendige Maßnahmen. Nur: Die Investitionen kommen 15 Jahre zu spät. Man muss sehen, wie viel Geduld Gütersloh bei der jetzt angestoßenen Entwicklung hat. Controller neigen zu Ungeduld.
Und Sie fürchten, es fehlt der lange Atem?
Gute Verleger mit publizistischer Mission haben immer längere Phasen mit Verlusten hingenommen. Sonst gäbe es die „Zeit“ oder die „Welt“ nicht mehr. Das Verlagswesen oder das Mediengeschäft allgemein ist nicht einfach ein „normaler“ Wirtschaftsbereich. Verleger – solange es sie gab und gibt – haben im Bewusstsein gelebt, einen großen Dienst für die Gesellschaft zu leisten. Guter Journalismus stärkt Demokratie. Diese Dimension ist bei Bertelsmann nicht mehr zu erkennen. Sonst hätte man nicht auf diese rabiate Art und Weise Gruner + Jahr beerdigt.
Wie ist das gemeint?
Bertelsmann hatte es eigentlich immer abgelehnt, bei klassischen Medien „Verleger“ sein zu wollen, obwohl man vor mehr als 50 Jahren sogar Axel Springer kaufen wollte. Wer aber Verantwortung für RTL, Vox, ntv und all die anderen Kanäle trägt, ist nichts anderes als ein „elektronischer Verleger“. Und wenn man dabei nun auch Marken verbindet, die im Print-Geschäft groß geworden sind, ist man erst recht: Verleger. Dann muss man akzeptieren, dass die Gebote der Renditemaximierung hier nachrangig sind. Qualität zahlt nur langfristig mit klingender Münze.
Ganz konkret: Wer könnte denn diese Verlegerrolle übernehmen – der bei RTL inhaltlich verantwortliche Stephan Schmitter? Er kommt ja aus dem Nachrichtengeschäft, vor allem vom Radio.
Kann sein, dass er sich dieser Rolle als würdig erweist. Auch Gregor Peter Schmitz kann in so eine Rolle hineinwachsen. Er ist jedenfalls eine gute Besetzung, was die „Stern“-Chefredaktion angeht. Beide werden die kontinuierliche Unterstützung durch Gütersloh brauchen. Die Claims im digitalen Journalismus sind schon weitgehend vergeben.
Was würde denn passieren, wenn das neue RTL-G+J-Konstrukt doch wie ein Kartenhaus in sich zusammenfällt und Thomas Rabe hinwirft oder vielleicht sogar aus dem Unternehmen entfernt wird?
Weder wird Thomas Rabe hinwerfen noch wird er entfernt. Zum einen ist er krisenerprobt, zum anderen ist das Verhältnis zu Christoph Mohn eng. Unter solchen Voraussetzungen wirkt bei Managern eine Teflon-Schicht. Rabe ist jetzt 57 Jahre alt, die traditionelle Altersgrenze bei Bertelsmann ist 60. Bis dahin wird er es wohl machen. Dann scheint es in der Familie Mohn Überlegungen zu geben, den Generationswechsel zu wagen und möglicherweise mit Carsten Coesfeld ein Mitglied der eigenen Dynastie in die CEO-Position zu bringen. Es scheint ein lang gehegter Traum insbesondere von Liz Mohn zu sein, die eigene Familie wieder an erster Stelle präsentiert zu sehen. Deutsche Familienunternehmen ticken oft in diese Richtung.
Es gab den nachvollziehbaren, aber vielleicht auch fast naiven Versuch von der Belegschaft, aber auch aus der Außenwelt, auf Liz Mohn einzuwirken. Genauso dürften sich aktuell auch auf dem Tisch von Friede Springer Zuschriften stapeln, im Trubel um Springer, Mathias Döpfner und Julian Reichelt stärker einzugreifen. Haben Liz Mohn und Friede Springer denn – auch ohne operative Titel – überhaupt noch Einfluss auf die großen Medienhäuser?
Sie sitzen beide in den Aufsichtsräten ihrer Unternehmen – sie haben aber vor allem „atmosphärischen Einfluss“. Liz Mohn und Friede Springen leben im Bewusstsein der Verpflichtung, das Erbe gut zu verwalten. Es handelt sich in beiden Fällen um Hinterlassenschaften von vorausschauenden, auch kühnen Unternehmern – Reinhard Mohn bei Bertelsmann und Axel Caesar Springer bei Springer. Beide waren Strategen, politisch vernetzt und auf ihre Art Menschenfänger. Ihre Ehefrauen haben Firmenanteile, aber keine unternehmerischen Gaben geerbt – und halten sich in der Öffentlichkeit bis auf ein bisschen PR-Pflege weitgehend zurück. Sie sind mit dem Prozedere nicht befasst, die entscheidenden Impulse geben andere. Das war bei Axel Caesar Springer und Reinhard Mohn anders.
Männer mit großem Machtanspruch.
Auch wenn sie viele Jahre nicht CEO waren, so lief zu ihren Lebzeiten doch nichts ohne sie. Beide haben bis zum Schluss im Detail die Geschäftspolitik vorbestimmt. Bei Liz Mohn und Friede Springer ist das anders. Sie vertrauen aus ihrer Sicht starken Managern. Im Fall Springer ist das Mathias Döpfner, der mittlerweile seit 21 Jahren CEO ist, trotz gelegentlicher Fehlschläge. Ein einsamer Rekord. Döpfner hatte mit dem Verkauf der Regionalzeitungen und Zeitschriften den stärksten Schritt bei der Transformation getan und ist entschiedener abgebogen in Richtung digitales Geschäft. Weitaus entschiedener als Gruner + Jahr und Bertelsmann.
Springer als Vorbild?
Döpfner wird durch den Verkauf der nicht digitalen Marken Gütersloh wahrscheinlich darin bestätigt haben, dass man an diesem Geschäft nicht festhalten muss. Die Botschaft von Mathias Döpfner ist viel klarer als die von Thomas Rabe. Der Springer-Chef sagt einfach: Ich will weltweit der größte und bedeutendste digitale Verleger sein. Diesen Satz versteht jeder, an ihm wird er allerdings auch gemessen werden. Übrigens: Man muss starke Marken wie das „Hamburger Abendblatt“ nicht verkaufen, man kann sie auch digital weiterentwickeln. Der Maschinenraum macht mehr Mühe als ein Deal.
Experteneinschätzung: Wie wird Döpfner es schaffen, die heftige Kritik an seinem Führungsstil sowie seine Rolle in der Aufarbeitung der „Bild“-Skandale rund um Julian Reichelt zu überleben und seine Stellung auch mit Blick auf den US-Markt wieder zu festigen?
Mit der Helmut-Kohl-Strategie: Die Hunde bellen, die Karawane zieht weiter. Wer soll ihn auch stürzen? In der Rolle als Großaktionär mit 44 Prozent der Stimmen müsste er sich selbst überzeugen, den CEO Döpfner abzusetzen und ihn in den Aufsichtsrat zu schicken. Dafür ist jetzt aber nicht der richtige Zeitpunkt. Er muss in den USA und anderswo „Politico“, „Business Insider“ und „Morningbrew“ zum Glänzen bringen sowie mit dem Börsengang von Stepstone überzeugen. Nur gute Fakten schlagen schlechte Stimmungen.
Was würden Sie Döpfner aktuell raten?
Einer Biografie über ihn zuzustimmen. Mit Friede Springer ein Interview geben. Sich in Hintergrundgesprächen zu erklären. Aber ich verdiene mein Geld nicht als Kommunikationsberater von Springer.
Eigentlich sind das für einen langjährigen Wirtschaftsbeobachter und vor allem den Medienexperten in Ihnen ja im Moment besonders aufregende Zeiten: Wie sehr juckt es Sie, doch lieber noch in kurzer Folge engagierte, vielleicht auch wütende Kommentare zu schreiben? Oder kehrt auch mal Gelassenheit ein?
Was die Medien angeht: Diese sind schon seit langer Zeit ein spannendes Feld. Es wäre aber verkürzt zu sagen, so spannend wie jetzt war’s noch nie. Das stimmt nicht. Seit der Einführung des Privatfernsehens in den 1980er-Jahren ist es eigentlich immer wilder und damit auch interessanter geworden.
Warum?
Weil es neue Geschäfte, neue Technologien gab, neue Märkte waren zu besetzen. 1993 war die Einführung des World Wide Web ein weiterer Meilenstein, in dessen Folge sich die Geschäfte rapide veränderten. Es gab also immer wieder Anpassungsbedarf. Der Strukturwandel der Medien ist nie abgebrochen: Im Gegenteil, all diese Tendenzen haben sich fortgesetzt und beschleunigt. Aktuell ist das Metaverse schon wieder ein gigantischer Zentralfriedhof, nun forschen und fummeln alle zur Künstlichen Intelligenz. Man muss nun sehen, wo die neuen Gleichgewichte zwischen den verschiedenen Mediengattungen liegen können.
Ihre Prognose?
Print wird – in bestimmter Form – noch für einige Jahre wichtig bleiben, insbesondere für qualifizierte Nischenmärkte. Die spannende Frage dieser Tage ist, was sich alles an qualitativen digitalen journalistischen Formen ausprägen und durchsetzen wird.
Wir unterhalten uns in Ihrem Büro in München: Wie sieht denn der berufliche Alltag von Hans-Jürgen Jakobs, der ja offiziell im Ruhestand ist, nun konkret aus?
Ich habe meine Status als Teilzeitrentner definiert.
Charmanter Ausdruck.
Das schließt ein, als Freelancer aktiv zu sein und nach wie vor Texte zu verfassen und zu veröffentlichen. Ob sie nun gedruckt oder online dargeboten werden, ist für mich zweitrangig. Ich bin weiterhin mit großem Spaß als Moderator und in Jurys für das „Handelsblatt“ tätig und bin ja nach wie vor Mitglied des Herausgeberbeirats des „Handelsblatts“.
Wo kommt die Ruhe im Ruhestand ins Spiel?
Leben ist Unruhestand. Eigentlich hat sich nicht sehr viel verändert, sieht man von der Nachtzeit ab. Das „Morning Briefing“ ist seit Oktober für mich weggefallen. Damit verlor ich Text und gewann Schlaf.
Das war sicher eine spannende, oft auch mal fiebrig aufregende, allerdings auch strapaziöse Tätigkeit. Sehr traurig, dass Sie jetzt Ihre Tage anders planen müssen, dürften Sie nicht sein.
Die Zwänge sind weg. Auch die Zwänge, an Redaktions- oder Planungskonferenzen teilzunehmen, was wiederum viel Spaß gemacht hat. Es ist jetzt positiv, sich direkt um Inhalte zu kümmern, Texte zu erstellen und sich über Moderationen Gedanken zu machen. Sicher, ich kann großzügiger über die Arbeitszeit bestimmen, zwischendurch ins Museum gehen, länger beim Mittagessen sitzen oder beim Kaffee zwei oder drei Zeitungen lesen. Insgesamt: ein süßes Gefühl der Freiheit.
Wenn der Name von „Handelsblatt“-Chef Sebastian Matthes im Display steht, kann man den auch mal wegdrücken?
Würde ich mir nicht erlauben. Warum auch?
Gibt es denn über die geordneten Verhältnisse zum Verlag hinaus auch konkret immer wieder Projekte, die sich aus der Nähe zum „Handelsblatt“ ergeben?
Wir reden jetzt darüber, wie wir eine neue Gesprächsreihe im „Handelsblatt“ lancieren. Es sollen anders geartete Interviews sein, die mehr in die Tiefe gehen und stärker die Psychologie der Interviewten ausloten.
Aber dafür braucht man nicht wie Gabor Steingart ein Schiff, das auf dem Rhein und auf der Isar fährt, oder?
Auf der Isar fährt kein Schiff. Da fahren nur Flöße.
Und wenn, dann auch nur in eine Richtung.
Sie sehen: Ein Isar-Floß wäre nicht das Richtige. Unzweifelhaft ist, dass Gabor mit seinem Medienschiff einen Coup gelandet hat.
Teilzeitrentner klingt eher so, als ob man gar kein Rentner sein möchte. Ab wann fängt man eigentlich an, sich selbst historisch zu werden und die Aktenordner noch mal anders zu sortieren, um vielleicht an den eigenen Rückblicken auf eine Art Lebenswerk hinzuarbeiten?
Es hilft nicht, immer weiter zurückzublicken. Man lebt in der Gegenwart, um Dinge für die Zukunft zu tun. Wenn es um einen selbst geht: historische Würdigungen überlässt man besser anderen.
Trotzdem, wenn Sie zurückblicken: Gibt es Lieblingsphasen Ihrer Laufbahn? Würden Sie gerne mal wieder an einer schön turbulenten großen Redaktionskonferenz beim „Spiegel“ teilnehmen oder eher an einer bei der „Süddeutschen“?
Das eine hat sich aus dem anderen ergeben, und hinterher sieht es wie eine Strategie aus. Paradiesisch waren sicher die ersten zwei Jahre beim „Spiegel“. Ich kam dorthin zu einer Zeit, in der keine Budgets, keine Kostenvorgaben existierten. Wenn man reisen wollte, meldete man das einfach an und brach auf. Das konnten auch Reisen in die USA sein. Man wurde dazu sogar ermuntert. Die Recherche stand eben ganz oben. Meiner Erinnerung nach war die vor einiger Zeit in der Claas-Relotius-Affäre so gescholtene Dokumentation hervorragend.
Wie sah die Arbeit mit ihr konkret aus?
Wenn man ihr sein Thema geschildert und seinen Bedarf erklärt hatte, bekam man einen dicken Stapel mit hervorragendem Material – und war damit auf Interviews und Geschichten bestens eingestimmt. Wie gesagt: ideale Zustände. Das hilft natürlich wenig für die Gegenwart: Da kann man sich die Welt nicht schöner backen, als sie ist. Aber wenn ich so zurückblicke, habe ich viele wunderbare Momente vor Augen.
Was fällt Ihnen noch spontan ein?
Zum Beispiel die Zeit als Chefredakteur von sueddeutsche.de. Nach 2006 hatten wir beschlossen, noch einmal viel Geld in die Hand zu nehmen, um eine richtige Onlineredaktion aufzubauen. Die existierte vorher in dieser Breite und Tiefe nicht, andere Medienhäuser hatten uns überholt. Wir konnten 25 Leute einstellen und uns eine eigene Kompetenz im Internet erarbeiten – mit anderen Formaten und einer dezidiert journalistischen Herangehensweise. So etwas macht mich in der Rückschau glücklich.
Also doch!
Ist auch nicht verwerflich, oder? Die jungen motivierten Kollegen von damals sind heute zu einem guten Teil gestandene Redakteure der „Süddeutschen Zeitung“ oder arbeiten bei anderen renommierten Medien. Bevor es jetzt sentimental wird, eine Klarstellung: Ich lebe gern im Jetzt und arbeite für das Morgen.