Der Burdismus moderner Prägung begann vor fast 40 Jahren. Vom Frankfurter Flughafen aus transportierten die damals noch hauseigenen Hubschrauber – südliche Route, immer am Rhein entlang – eine Journalistenschar ins angestammte Offenburger Hauptquartier. Dort erklärte der jüngste Spross einer der großen deutschen Verlegerfamilien, was er mit dem ihm zugesprochenen Zeitschriftengeschäft rund um „Bunte“, „Freizeit-Revue“ und „Freundin“ anfangen wollte.
Es war der Start von Hubert Burda, Jahrgang 1940, in eine neue Zeit. Hinter ihm lag, Monate nach dem Tod des legendären Senators Franz Burda im September 1986, ein erbitterter Erbfolgekrieg mit den beiden älteren Brüdern Franz und Frieder, die Druckereien, Papierbetriebe, Speditionen und eine Beteiligung am Axel Springer Verlag zugeteit bekamen. Die „Realteilung“ unter den zerstrittenen Brüdern brachte dem Benjamin eine neue verlegerische Freiheit.
In einigen Wochen, Ende Januar 2025, endet nun die Ära von Hubert Burda, dem einst so oft verkannten promovierten Kunsthistoriker: Er scheidet aus dem Verwaltungsrat aus, seinem einzigen noch verbliebenen Machtvehikel, und mit ihm geht sein langjähriger Vermögensvermehrer Paul-Bernhard Kallen, 67, einst CEO und zuletzt noch Verwaltungsratschef. Es fühlt sich an wie ein Schichtwechsel – hin zu Burdas Kindern Jacob, 34, und Elisabeth Burda-Furtwängler, 32. Die dürften ihre ganz eigenen Vorstellungen von der künftigen Hubert Burda Media SE haben. Portfolio-Entscheidungen stehen an.
Generationenwechsel bei Burda also, Ende einer Ära.
Oberster Sachwalter des Burda-Nachwuchses ist künftig nicht mehr Ex-Mentor Kallen, Ökonom mit Talent zur Welterklärung, sondern der neue Verwaltungsratschef Olaf Koch, 54, ein in IT-Fragen bestgeschulter Manger: Einst war er CEO des Handelskonzerns Metro, ehe er die Wagniskapitalfirma Zintinus gründete sowie Aufsichtsrat bei der Mercedes-Benz-Group wurde. Ebenfalls neu ins sechsköpfige Spitzen-Führungsgremium rückt Ulrike Handel ein, früher mal Deutschlandchefin des japanischen Werberiesen Dentsu sowie vor allem lange Zeit bei Axel Springer aktiv, zuletzt dort für kurze Zeit bis 2022 auch im Vorstand. Sie sitzt im Aufsichtsrat des norwegischen Medienkonzerns Schibsted.
Schon vor knapp einem Jahr war Investor Alexander Kudlich, lange Zeit Vorstandsmitglied der Rocket Internet SE, auf Betreiben von Jacob Burda in den Verwaltungsrat gekommen. Andreas Rittstieg, Ex-Justiziar des Hauses Burda, komplettiert die Runde an der Spitze. Er agiert als Vizechef des Top-Gremiums, als Kochs Stellvertreter.
Der neu besetzte Verwaltungsrat steht vor der Schlüsselfrage, wie es mit dem Burdismus in Zeiten von KI, digitalen Monopolen und allgemeiner Disruption weitergeht. Was wird aus dem traditionellen Verlagsgeschäft und dem Journalismus, wie sehen digitale Geschäftsmodelle aus und wie wie reüssiert man bei Burda Principle Investments mit dem An- und Verkauf von Beteiligungen, wo einst beispielsweise Deals mit dem Tierfutteranbieter Zooplus für tierische Gewinne gesorgt hatten. Zuletzt aber hatten insbesondere die Hamburger Tochter New Work mit dem Jobportal Xing sowie das Handelsgeschäft von Cyberport Sorgen im Familienunternehmen bereitet. Bedingt durch den Entschluss, New Work von der Börse zu nehmen, sitzt die Familie nun auf fast 100 Prozent und hohen Finanzlasten. Weiterentwickeln oder weiterverkaufen, lautet die Frage.
Der Burda-Gesamtumsatz war 2023 um fast sechs Prozent auf 2,748 Milliarden Euro geschrumpft, soll für 2024 aber sehr stabil sein.
Mitten im Wandel hatte zuletzt der Ruf des Chefstrategen Kallen gelitten, der 1996 ins Haus gekommen war. Dem Ex-McKinsey-Berater wird von manchem angekreidet, zu sehr auf den CEO Martin Weiss, 57, gesetzt zu haben. Sein ebenfalls im Consultingwesen geschulte Zögling kam mit dem journalistischen Stammgeschäft überhaupt nicht klar, konnte seine Träume vom nächsten großen Ding im Internet nie erfüllen und musste schon nach zwei Jahren seinen Platz wieder räumen.
Einen CEO gibt es im 1902 entstandenen Unternehmen nun nicht mehr. Es lenkt der Verwaltungsrat, der unverändert bleibende Vorstand mit Verbandschef Philipp Welte, 62, als Verlagshauptfigur, führt operativ aus. Am früheren Chef-Schreibtisch des glücklosen Top-Manns Martin Weiss im siebten Stock der Firmenzentrale im Münchener Osten sitzt seit Wochen Elisabeth Burda-Furtwängler. Die passionierte Hiphop-Musikerin („Kerfor“) redet oft mit den Journalisten des Hauses, stellt Fragen, macht sich schlau, offenbart ihr Interesse für Fragen der Diversität und der Nachhaltigkeit.
Ihr Bruder Jacob, ein promovierter Philosoph, gilt dagegen als einer, der eher dem Internet und dem Beteiligungsgeschäft zugewandt ist. Beim Sommerfest des Hauses im Juli 2024 waren die beiden Geschwister demonstrativ vor 1300 Mitarbeitenden gemeinsam mit ihrem Vater aufgetreten – man wolle eine aktivere Rolle als Gesellschafter ausfüllen, so lautete die Botschaft. Sie wolle in diese Aufgabe hineinwachsen, sagte dabei Elisabeth Burda-Furtwängler: „Ihr könnt auf mich zählen, und Ihr könnt auf die Familie zählen!“
Die faktische Macht liegt nun stärker beim Nachwuchs, auch wenn Hubert Burda allein haftender Gesellschafter bleibt, mit 25.1 Prozent der Kapitalanteile und noch 100 Prozent der Stimmrechte. Seit der Realteilung, damals 1987, hat der kunstsinnige Unternehmer, ein Renaissance-Mensch, manches versucht und war dabei auch hohe Risiken eingegangen: das deutsche „Forbes“, die „Super“-Zeitung für Ostdeutschland und Europe Online scheiterten, das Nachrichtenmagazin „Focus“, „Superillu“ und manche Übernahme (Immediate Media in England beispielsweise) hingegen reüssierten. Es lief unter dem Strich gut für den Mann, der einst – unter dem kritischen Blick des dominanten Vaters – seine Sporen als langjähriger Chefredakteur von „Bunte“ verdient hatte.
Seine Bibliothek und sein Atelier galten immer als Lieblingsplätze des Abschied nehmenden Verlegers, der Petrarca, Peter Handke und Friedrich Hölderlin besonders zu schätzen weiß: „Der Nordost wehet, / Der liebste unter den Winden / Mir, weil er feurigen Geist / Und gute Fahrt verheißet den Schiffern“, sind Burda-Lieblingszeilen aus dem Werk des schwäbischen Dichters. Burdas letztes, 2017 erschienene Buch trägt den Titel: „Landwege – Seewege“.
Gelegentlich hat der Verlagserbe, Eigentümer in dritter Generation, auch halb belustigt, halb besorgt den großen Otto von Bismarck zitiert: „Die erste Generation schafft Vermögen, die zweite verwaltet Vermögen, die dritte studiert Kunstgeschichte, und die vierte verkommt vollends.“ Bei allen historischen Parallelen – so dürfte die Zukunft des gut bestellten Hauses Burda mit großer Sicherheit nicht aussehen.