Meine gesammelten Werke: Wie ich die Lage gesehen habe.

Zum Tod der RTL-Gründungsfigur Helmut Thoma

Süddeutsche Zeitung, 27.05.2025

Der freie Radikale

Zum Tod der RTL-Gründungsfigur Helmut Thoma

Süddeutsche Zeitung, 27.05.2025

Der Mann, der das deutsche Privatfernsehen erfand, hatte ein persönliches Überzeugungsmittel, das im heutigen wirtschaftlichen und politischen Alltag weitgehend verschwunden ist: Humor. Was kann man damit, falls vorhanden, alles anstellen! Helmut Thoma jedenfalls, die Gründungsfigur des Senders RTL, gewann mit diesem Mittel (heute würde man „tool“ sagen) spielerisch leicht jeden Saal, jeden Konferenzraum und drehte auch hartnäckige Gegner um.

Der Jurist aus Wien, den es, beginnend vor 50 Jahren, zunächst über Luxemburg und schließlich nach Köln in die damals boomende deutsche Medienindustrie zog, hielt sich einfach an das erste Gebot der Entertainer: „Du sollst nicht langweilen!“ Hierfür stand dem vorwärtsdrängenden, überaus gebildeten Manager ein kulturelles Ökosystem aus seiner Heimat zur Verfügung, das vom Feinsten war und ihn geradezu zur Personifikation des „Wiener Schmäh“ werden ließ. Thoma profitierte von den Hinterlassenschaften eines Karl Kraus, Alexander Roda Roda und natürlich eines Friedrich Torberg, aus dessen Buch „Die Tante Jolesch“ er schon mal gern zitierte.  Der Humor in dem Buch ist von dieser Art: Als der Neffe von einem Unfall erzählt, wobei es „noch ein Glück“ gewesen sei, dass er mit dem Auto nicht auf die Gegenfahrbahn rutschte, sondern ans Brückengeländer, da sagte die Tante nur: „Gott soll einen hüten vor allem, was noch ein Glück ist.“

Man könnte mit Bonmots, Aphorismen und Anekdoten sehr leicht die Vita jenes Helmut Thoma beschreiben, der wie ein Donnerwetter über die einst von ARD und ZDF beherrschte, dabei auch zusehends bloß verwaltete Fernsehlandschaft kam und der am 3. Mai – an seinem 86. Geburtstag – in Wien verstorben ist.

Als der umtriebige Manager zum Beispiel die Autorennen der Formel Eins bei RTL zum deutschen TV-Ereignis machte, merkte er an, dass sei zu einer Zeit passiert, als die deutsche Industrie bei dem Event „nur noch als Lieferant von Zündkerzen“ in Erscheinung getreten war.  Oder: Als die Deutsche Telekom eine neue Technik zur Digitalisierung auslobte, witzelte Thoma, dass sei in etwa so, als hätte man in der Vergangenheit Pferde mit Blechplatten versehen, um die Leute zu Motorrädern zu bringen. Von da zum späterdiagnstizierte „digitalem Rinderwahnsinn“ war es nicht weit.

Seine Sätze: „Im Seichten kann kann nicht ertrinken“ und „Der Wurm muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler“, sind Klassiker des TV-Gewerbes – und haben seiner Zeit all jene Kulturkritiker aufgeregt, die in der von leicht bekleideten Models gesäumten Pseudo-Rateshow „Tutti Frutti“, in Deutsch-Sexfilmen („Schulmädchen Report“) zur Nachtzeit oder im gesendeten Hard Talk („Der heiße Stuhl“) so etwas wie den Untergang des Abendlandes sahen. Thoma liebte die Provokation so sehr wie die dadurch ausgelöste Debatte – solange jedenfalls dadurch am Ende schöne Werbebuchungen ausgelöst wurden. Und was die Programme angeht, konnte er darauf verweisen, dass der damalig dominierende Medienhändler Leo Kirch seine viele Filme und Serien ja leicht bei seinen verbundenen Stationen Sat 1 und Pro Sieben unterbringen konnte, er aber von solchen Deals ausgeschlossen war. Ihm musste also etwas einfallen.

Eine seiner Erfindungen hat in der Werbeindustrie noch heute Bestand: Das ist die irgendwie seltsame Fixierung auf 14- bis 49-Jährige als konsumfreudige Kernzielgruppe, was nun wirklich eine gegriffene, wissenschaftlich nicht wirklich belegbare Größe war. Aber die Werbeauftraggeber schluckten den Wurm.

Man muss Frank Elstner, dem Erfinder von „Wetten, dass…?“, nur ein wenig zuhören, um zu begreifen, wo dieser Helmut Thoma sich sein Rüstzeug für das spätere Großimpresario-Wesen geholt hat: in Luxemburg, im Radiogeschäft des Privatsenders RTL. Thoma, der in jungen Jahren eine Lehre in einer Molkerei gemacht hatte, war 1973 als Rechtsgelehrter vom öffentlichen ORF in Wien gekommen. Nunmehr gab er, zunächst gegenüber Werbekunden, an der Seite des damaligen Programmchefs Elstner ein Zwillingspaar, das mit Gags und Frohsinn der Klientel das Geld aus den Taschen redete. Man zog mit einem weißen Wage durch die Lande und propagierte Ideen wie jene, passend zur Zeitansage im Programm mit Uhren zu werben.

In dieser Arbeitsteilung war Thoma der Seriöse, aber auch manchmal „Harlekin“, so Elstner. Das funktiontierte so gut, dass der enstige Discjockey später Trauzeuge bei der zweiten Hochzeit Thomas wurde und später für RTL die Shows „Jeopardy“ und „Aber hallo“ machte. Der verstorbene TV-Chef, der dann selbst Programmchef wurde, sei ein ganz Großer gewesen, erklärt Elstner, eine wirkliche Persönlichkeit, „der immer den Mund aufmachte und vor keinem Angst hatte“.

Helmut Thoma war ein freier Radikaler, ein unabhängiger Geist, der in der Wirkung auch zuweilen höchst undiplomatisch war, was insbesondere den RTl-Gesellschafter Bertelsmann aus Gütersloh immer wieder ärgerte. Dort glaubte man am Ende, so was wie Fernsehen auch selbst zu können, wenn man schon für viel Geld die Luxemburger Gründungsfirma CLT herausgekauft hatte. Unvergessen bei allen, auch bei der ostwestfälischen Unternehmerfamilie Mohn, war Thomas Spruch, in Gütersloh würden auf jedem Baum Controller wachsen.

Eng an der Seite von Thoma beim Aufstieg von RTL zum Großsender stand Marc Conrad, viele Jahre lang RTL-Programmchef und heute erfolgreicher TV-Produzent. Er hatte einst in eine anfänglich reine Hörfunktruppe, die televisionär „RTL plus“ machen sollte, wenigstens etwas TV-Erfahrung eingebracht. Er erzählt, wie man damals begeistert auf das belgische und französische Fernsehen schaute und erstaunt auf die Programme von ARD und ZDF – so wie die Ostdeutschen damals in der DDR, freilich aus ganz anderen Gründen.

Thomas Erfolgsrezept sei gewesen, „stets neugierig, offen und mutig an die Dinge heranzugehen“, so Conrad. Er habe ein „untrügliches Gespür für Programm“ gehabt, einer, der selten an seinem Schreibtisch saß, sondern lieber im RTL-Gebäude herumwanderte und mit allen sprach – walk the talk, sagen sie heute zu einer solchen Haltung. Conrad: „Fragen der Hierarchie interessierten ihn nicht. Fernsehen wurde mit ihm zum permanenten Lernprozess, was alle enorm motivierte. Auch bei Misserfolgen wurde keiner an die Wand genagelt.“ Thomas Standardspruch, auf Wienerisch: „Mochens dös.“ So durfte Kommuinkationscef Peter Hoenisch 1992 mit einem großen, ungeprüften Budget den Rivalen Sat 1 beim Sponsoring des Kunstmesse documenta ausstechen.

In dieser Unternehmenskultur wurde viel nach dem Motto „Trial and Error“ probiert. Heute würde man von Thoma als „Disruptor“ sprechen. Er war einer, der die Rechte an der Fußballbundesliga kaufte und sich den Fotografen wie ein König mit Ball im Mittelkreis des Kölner Stadions präsentierte. Einer, der mit „RTL aktuell“ eine seriöse Nachrichtensendung etablierte, mit Magazinen am Morgen, zu Mittag oder in der Nacht als Elemente einer Informationsschiene. Und einer, der gegen alle Widerstände aus dem fernen Australien eine Soap für den Nachmittag kaufte, „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“.

In Gesprächen ließ Helmut Thoma im fortgeschrittenen Alter immer wieder durchblicken, wieviel Programm aus seiner Zeit immer noch bei RTL laufe. Ein bisschen mit Wehmut schaute er auf seine Kreation, bei der Bertelsmann ihn am Schluss als Geschäftsführer entmachtet hatte und nichts für die sonst im Hause geheiligte Kontinuität tat. Ein wenig mag Thoma dann bereut haben, dass er am Anfang von RTL plus doch ein höheres Gehalt wählte als die vorgeschlagenen Geschäftsanteile.  Den schleichenden Abstieg von RTL hat er genauso vorausgesehen wie jüngst den Flop mit Stefan Raab, der jüngst nach einigen Monaten ausrangiert wurde.

Nach seiner RTL-Zeit hatte Thoma Posten in Beiräten und Aufsichtsräten, etwa bei der Telekommunikationsfirma Freenet in Schleswig-Holstein, wo er an der Spitze des Kontrollgremiums stand und zum Abschied, ganz nach der Art des freien Radikalen, ein paar Bösartigkeiten über den CEO auspackte. Für seinen Freund Wolfgang Clement, damals nordrhein-westfälischer Ministerpräsident (und noch in der SPD), war er in der Düsseldorfer Staatskanzlei Medienberater. Ansonsten ging der Wiener, der Immobilien geerbt hatte, intensiv seinen Hobbies nach: Geschichtsstudien (er konnte nonstop über Churchill erzählen), Erforschung juristischer Fragen (zum Beispiel Kirchenrecht) oder das Sammeln von Asiatika und japanischer Malerei, die seine stattliche Wohnung in der Wiener Innenstadt schmückten. Mit der Zeit riefen immer weniger Leute an, das schmerzte.

Eine Autobiografie Thomas hat es trotz verschiedener Ansätze nicht gegeben. Die publizistische Würdigung übernahm 2001 seine dritte Frau Danielle: „Hochexplosiv – mein Leben mit Mister RTL“. Manchmal ist der TV-Grande auf dem Boulevard, über den er berichten ließ, selbst auch in überraschenden Rollen aufgetreten.

Das ändert in der Rückschau nichts an der verändernden Kraft, die Thoma im deutschen Fernsehen hatte. Er schuf aus dem Nichts ein Milliardenunternehmen, setzte Normen, war hochgradig innovativ. Dass daraus ein heute begrenzt erfolgreiches Rechenschieber-Privatfernsehen wurde, war nicht zu erahnen. Es waren wilde Zeiten, Goldgräber-Jahre. „Wer dem Trend hinterläuft, sieht nur seinen Hintern“, noch so ein Tante-Jolesch-artiger Thoma-Spruch. Er war ein Unikat.

„Mit seinem Todestag ist eine ganze Epoche zu Ende gegangen“, würdigt Thomas enger Begleiter Marc Conrad: „Er war in seiner Zeit so etwas wie ein aktiver Herausgeber, so wie man das von Verlagen kannte. Thoma gab RTL für die Zuschauer ein Gesicht.“

Und man hatte bei ihm meist etwas zu lachen.