Meine gesammelten Werke: Wie ich die Lage gesehen habe.

Zum Versuch Chinas und Russland, eine neue Weltordnung zu schaffen

IP Special 4/2023

Demokratien unter Druck: Wirtschaft als Waffe

Zum Versuch Chinas und Russland, eine neue Weltordnung zu schaffen

IP Special 4/2023

Die imperialen Pläne Chinas und Russlands fußen
auf Abhängigkeiten des Westens. Über Jahrzehnte
haben sich die liberalen Demokratien im
Energie- und Rohstoffsektor erpressbar gemacht;
heute zahlen sie einen späten Preis dafür.
Von Hans-Jürgen Jakobs
Ein Geheimnis aus ihren imperialen Plänen
haben die Führer der beiden weltgrößten
Autokratien nie gemacht. Im Gegenteil: Der
russische Präsident Wladimir Putin und sein chinesischer
Kollege Xi Jinping kommunizieren sehr
offen darüber.
So hat der Herr des Kremls in mehreren Traktaten
seine Pläne eines großrussischen Reiches –
inklusive der Ukraine – offenbart. Und der Machthaber
in Peking und seine alles dominierende
Kommunistische
Partei haben ihre Strategie der
Welteroberung sogar in konkreten Plänen manifestiert,
etwa der Initiative „Made in China 2025“.
Sie sieht die Verwandlung der Volksrepublik in
eine Hightech-Supernation vor, in der heimische
Produzenten 70 Prozent von „Kernkomponenten
und Werkstoffen“ selbst herstellen. Im Klartext: Xi
Jinping will sein Land sehr bald zum Marktführer
bei Robotik, Informationstechnologie, E-
Autos,
Medizintechnik,
Raumfahrt, Eisenbahn und
Schiffsverkehr katapultieren.
Die Strategien der Autokraten Putin und Xi –
in einer „grenzenlosen Partnerschaft“ kurz vor
dem Ukraine-Überfall im Februar 2022 besiegelt
– sind nicht nur transparent, sie haben auch einen
handfesten ökonomischen Kern. Beim Kampf
um eine neue Weltordnung gegen den angeblichen
Hegemon USA wurden Wirtschaftsgüter zu
Waffen. Man kann es kaum anders sehen: Nach
mehr als 30 Jahren Boomzeit sind Globalisierung
und Freihandel nur noch Erinnerungsposten einer
liberalen Epoche, die angesichts der Ambitionen
von Putin und Xi für die Zwecke einer eigenwilligen
Staatsräson missbraucht werden. Wo durch
Wirtschaft als Waffe
IP Special • 4 / 2023 | 27
exzessive
Globalisierung
Monopole zu eigenen
Gunsten entstanden sind, werden
die damit verbundenen Abhängigkeiten
der anderen politisch konsequent genutzt.
Die „Friedensdividende“ des Westens
droht so zu einer „Kriegsdividende“
der
Autokraten zu werden. Die liberalen Demokratien
sind erpressbar geworden.
Markt macht Ohnmacht
Der Sündenfall, die Probe auf die neue
Zeit, ist der Ukraine-Krieg. Hier hat der
Westen, und vor allem Europa, mit Russlands
Aggressionsökonomie unliebsame
Bekanntschaft gemacht. Auf einmal
wurde der Gasmonopolist Gazprom zum
politischen Faktor, da allein in Deutschland
40 Prozent aller Gasimporte über
ihn liefen. Viele Monate diskutierte das
Land über Alternativen, auch zur starken
russischen Erdölposition dank Rosneft,
und klagte über dramatisch gestiegene
Verbrauchskosten, deren Bewältigung
große Teile der öffentlichen Haushalte
verschlingt.
Es brauchte in dieser Konstellation
schon sehr viel Zeit, bis die Ukraine
brauchbare Waffen geliefert bekam und
Sanktionen spürbar an Schärfe gewannen.
Honi soit qui mal y pense. Der Verkauf
von Aluminium und Nickel aus Russland
lief trotz des Anti-Putin-Brimboriums
mit großer Intensität weiter, schließlich
sind sie wichtige Basisstoffe für westliche
Firmen. Sanktionen bei Uran? Ebenfalls
Fehlanzeige, hängen doch die Atomkraftwerke
in Frankreich und Südosteuropa,
aber auch in den USA, von Lieferungen
angereicherten Urans aus Russland ab.
Weltmarktanteil des Putinschen Machtsystems:
40 Prozent.
Markt macht Ohnmacht, erst recht,
wenn dieser Markt staatlich kontrolliert
und manipuliert wird. Diese Zusammenhänge
erklären, warum die russische
Volkswirtschaft nicht kollabiert ist – zumal
Güter via Drittstaaten wie Armenien,
Kasachstan, zeitweise auch Türkei und
China, weiter recht frei zwischen Russland
und dem Rest der Welt gehandelt werden
konnten. Parallelimporte und Parallelexporte
machen es möglich. Man wollte
Putin schaden, aber am allerliebsten nicht
sich selbst.
Politisch lässt sich im Westen mit
Sanktionen wählerwirksam gut drohen,
in der Praxis aber verhindert eine über
Jahrzehnte gewachsene Verflechtung von
Firmen und Märkten die Durchsetzung
solcher Radikalaktionen. Die westliche
Fixierung auf Shareholder Value hat ihren
späten Preis. Die Profiteure von einst zahlen
nachträglich dafür, dass sie mit der
Konzentration auf sehr wenige Lieferanten
in der Vergangenheit Discountpreise
erzielen konnten.
Noch gewichtiger und problematischer
ist die Abhängigkeit des Westens von China.
Denn während Russland vor allem
dank fossiler Energie wirtschaftliche und
politische Macht ausübt, ist das Reich der
Mitte stark bei allen mineralischen Rohstoffen,
die für Zukunftsgeschäfte unentbehrlich
sind. Ohne sie läuft kein Windrad,
funktioniert kein Solarpanel, wirkt kein
Chip, fährt kein E-Auto. Ohne China kann
man, Stand heute, Europas „Green New
Deal“ vergessen.
Bei den mineralischen Rohstoffen ist
fast die Hälfte der globalen Bergwerkproduktion
in China konzentriert. Hinzu
kommt, dass das Land auch in der
Hans-Jürgen
Jakobs ist Volkswirt
und hat als
Journalist u.a. beim
Spiegel, bei der
Süddeutschen Zeitung
sowie als Chefredakteur
des
Handelsblatts gearbeitet.
Jahrzehntelange wirtschaftliche
Verflechtung verhinderte
eine wirksame Durchsetzung
von Sanktionen
Demokratien unter Druck
28 | IP Special • 4 / 2023
Raffinade,
der Weiterverarbeitung der
Rohstoffe, klar dominiert. Und wo es
noch Lücken gibt, hat das Land Verträge
mit anderen Staaten geschlossen oder sich
an wichtigen Minen beteiligt, etwa in der
Demokratischen Republik Kongo, wo das
für Batterien wichtige Kobalt gefördert
wird.
Ganz konkret wird die Überlegenheit
bei den Seltenen Erden, einer Gruppe von
17 chemischen Verbindungen. Sie sind
notwendig für die Herstellung von Dauermagneten,
Lautsprechern, Festplatten,
Kopfhörern, aber auch für die Luft- und
Raumfahrt. Der Weltmarktanteil Chinas
liegt bei knapp 60 Prozent. Schon dem
früheren Parteichef Deng Xiaoping, der
das Land für die Zusammenarbeit mit dem
Westen geöffnet hat, war 1992 nur allzu
bewusst: „Der Nahe Osten hat Öl, China
hat Seltene Erden.“ Da liegt der Gedanke
nahe, diese Vormachtstellung so auszubeuten,
wie es einst die Golfstaaten über
das OPEC -Kartell getan haben. 2010 wurde
der damalige Premier Wen Jiabao deutlich:
„Anfang der 1980er Jahre haben wir die
Seltenen Erden noch zum Preis von Salz
verkauft. Doch eigentlich verdienen sie
den Preis von Gold. Wir fangen gerade erst
an, unsere selbstverständlichen Interessen
zu wahren.“ Im selben Jahr hatte China
das Land Japan mit der Nichtlieferung
von Seltenen Erden bestraft, nachdem es
Streit um eine Inselgruppe im Südchinesischen
Meer gegeben hatte. Wirtschaftliche
Interessen sind politische Interessen.
Kein Wunder, dass die Machthaber
in Peking im Januar 2022 drei von sechs
Firmen für Seltene Erden zum staatlichen
Konglomerat der China Rare Earth Group
Ltd. fusionierten; es vereinigt 62 Prozent
der chinesischen Ressourcen des wertvollen
Rohstoffs auf sich. Die Macht, die hier
zu beobachten ist, ist die großer Zahlen.
Neodyme aus der Kategorie der Seltenen
Erden stammen zu 90 Prozent aus China
Der Nahe Osten hat Öl, China hat Seltene Erden: Der Weltmarktanteil des Landes liegt bei rund 60 Prozent.
Im Bild: die Baiyunebo-Mine nahe der Stadt Baotou in der Inneren Mongolei.
Bild nur in
Printausgabe verfügbar
Wirtschaft als Waffe
IP Special • 4 / 2023 | 29
und sind elementar wichtig für Magnete.
Oder nehmen wir das für Halbleiter wichtige
Silizium (China-Anteil: 69 Prozent) oder
Magnesium (China-Anteil: 89 Prozent),
das im Flugzeug-, Auto- und Maschinenbau
benötigt wird. Als China im Herbst
2021 die Lieferung der beiden Stoffe an
die Welt aus offiziell angeführten Gründen
des Energiesparens kurzzeitig einstellte,
standen im Westen Bänder still.
Destabilisierender Wettbewerb
Dieses Intermezzo gab einen Vorgeschmack
auf etwaige künftige Kalamitäten.
Vor Monopolen gibt es keine Flucht.
Angesichts solcher Abhängigkeiten erscheint
es zweifelhaft, ob der Westen
nach einer Intervention Chinas in Taiwan
überhaupt zu bedeutenden Sanktionen fähig
wäre. Solchen Widerstand kann sich
Deutschland nicht mehr leisten.
Erst spät, viel zu spät haben westliche
Staaten begonnen, andere Rohstofflieferquellen
zu erschließen oder das Recycling
von wichtigen Materialien auszubauen. So
haben die USA beschlossen, von 2026 an
generell auf Seltene Erden aus China für
US-Waffensysteme zu verzichten: Das sei
ein nationales Sicherheitsrisiko.
Das „Zusammenspiel von geografischer
Konzentration kritischer Ressourcen und
dem zunehmenden globalen Wettbewerb“
werde die Geopolitik im 21. Jahrhundert
„prägen und destabilisieren“, erklärt die
US-Ökonomin Sophia Kalantzakos. Globaler
Wettbewerb meint hier nicht das
Ringen multinationaler Konzerne, sondern
den überwölbenden Systemwettstreit
zwischen Demokratien (USA) und
Autokratien (China), ausgetragen über die
jeweiligen Monopolkonzerne, etwa bei
der Künstlichen Intelligenz (KI): Microsoft,
Google und Amazon gegen Baidu,
JD.com und Xiaomi. So will China 2030
zum ersten globalen Innovationszentrum
für KI werden. Big Data? Kein Problem in
der Volksrepublik; anders als im Westen
gibt es keine Privacy, keinen Datenschutz.
Putin hat 2017 keinen Zweifel an der Relevanz
von KI gelassen: „Wer auch immer
der Technologieführer in diesem Bereich
wird, wird die Welt regieren.“ Und just
diese Weltherrschaft will Xi Jinping unter
allem Einsatz der Wirtschaft erreichen
– spätestens 2049, zum 100. Geburtstag
der Volksrepublik. Dann soll China das
mächtigste Land der Welt sein.
Auf dem Weg dorthin hilft auch, dass
sich die rote Supermacht mit der Neuen
Seidenstraße den Griff auf internationale
Handelswege gesichert hat. Über Kredite
und Infrastrukturinvestitionen sind viele
Anrainerstaaten de facto zu handelspolitischen
Vasallen geworden. Die staatseigene
Großreederei Cosco treibt die Entwicklung
mit allerlei Beteiligungen voran, zuletzt
mit dem umstrittenen Einstieg bei einem
Terminal im Hamburger Hafen. Einer der
nächsten Schritte auf dem Weg Chinas zur
Weltmacht Nummer eins wird sein, den
Renminbi zur zweiten Leitwährung neben
dem Dollar zu machen. Die vier größten
Banken der Welt befinden sich in chinesischem
Staatsbesitz.
Schließlich wird der weitere Aufstieg
davon begünstigt, dass Deutschlands
wichtigste Branche, die Autoindustrie, von
der Volksrepublik abhängig ist. Mercedes
setzt hier mehr als jedes dritte Auto ab;
zudem sind die chinesische Staatsfirma
BAIC und ein privater Unternehmer des
Landes mit jeweils knapp 10 Prozent am
Kapital des Stuttgarter Konzerns beteiligt.
Der China-Block als bedeutendster
Großaktionär – noch so ein wirtschaftlicher
Hebel, der sich künftig gut nutzen
lassen könnte. Die westliche Wirtschaft
ist immer „chinesischer“ geworden.
Und damit lebt sie mit einem beständig
wachsenden
Risiko.