Meine gesammelten Werke: Wie ich die Lage gesehen habe.

Zum Tode zweier großer Europäer

Tagesgedanken (43)

Zum Tode zweier großer Europäer

Unter die üblichen Jahresrückblicke mischen sich diesmal gehaltvollere Epochenrückblicke, deklariert als Nachrufe auf die großen Europäer Wolfgang Schäuble und Jacques Delors. Straßen und Plätze sollten nach ihnen benannt werden. Wohl kaum ein Zitat hat in den letzten Jahren so sehr die Runde gemacht wie Delors‘ Spruch von Europa als einem „Fahrrad“, das man nie anhalten könne, weil es sonst umfalle. Die Warnung muss heute jedoch nicht nur der gefährdeten Einheit des Kontinents gelten, sondern dem politischen System an sich. Auch die Demokratie ist wie ein Fahrrad: Wird sie angehalten, fällt sie um.

*

Wolfgang Schäuble kleidete solche Erkenntnis gerne in die Formel: „Demokratie braucht Demokraten.“ Sein Tod erinnert uns daran, dass Demokratie nicht nur Demokraten, sondern auch einen bestimmten Politikertypus braucht. Wer wird der „Schäuble der 2050er-Jahre“ sein? Kevin Kühnert, Carsten Linnemann und Jens Spahn sind es schon mal nicht.

*

Noch eine Lücke, die aufreißt: Man sucht aktuell vergebens jemanden, der die deutsch-französische Freundschaft so lebte wie der CDU-Bundestagsabgeordnete aus dem Grenzwahlkreis Offenburg. Unvergessen, wie er auf dem 3. French-German-Businessforum 2016 von Handelsblatt und Les Echos in Paris Harmonie mit seinem französischen sozialistische Ministerkollegen Michel Sapin perfekte Harmonie demonstrierte, obwohl die beiden einst bei der Griechenlandrettung harte Antipoden waren. Allen Forderungen nach neuen europäischen Visionen begegnete das Duo mit dem Pragmatismus der kleinen Schritte. Den kleinen Leuten müsse man, so Sapin und Schäuble damals, im Zweifel auch ihren Nationalismus lassen, wenn das etwas sei, woran sie sich noch halten können. Es sollten am Ende nur nicht Marine Le Pen oder Alice Wedel dabei herauskommen.

 

(Am zweiten Weihnachtsfeier verstarb der christdemokratische Politiker Wolfgang Schäuble, einen Tag später der einstige EU-Kommissionspräsident Jacques Delors.)