Hochmut kommt vor dem Fall, und die Hochmütigsten fallen besonders spektakulär. In dieser Kategorie ist der österreichische Parvenü René Benko, 47, zu finden. Jener Do-it-yourself-Unternehmer, der in kurzer Zeit in den Olymp der europäischen Immobilienwirtschaft aufstieg und der sich als deutscher Kaufhauskönig wiederfand. Einer, der seinen Status als Wunderjunge so lange genoss, bis er selbst sein blaues Wunder als Pleitier erlebte. Vom Schulabbrecher zum Firmenabbrecher, dazwischen ein Wirtschaftsstar, so sehen üblicherweise Storyboards in einer dieser Endlos-Serien des Streaming-Fernsehens aus.
Die Himmel-Hölle-Karriere war vorauszusehen. Wer den Leitspruch hat: „Denkt nicht groß, denkt größer!“, bei dem ist zwangsläufig alles überdimensional: die Ambition, das Statussymbol, die Projektvolumen, am Ende aber auch das Risiko, der Schuldenstand und der Zusammenbruch. Hier geriet nicht einfach – mit schnöden Anträgen ans Insolvenzgericht – ein verschachteltes Imperium namens Signa in Not und dann fertig, nein, hier donnerte die Erde.
Das Geld war schon seit einiger Zeit knapp geworden, Lieferanten und beauftragte Baufirmen warteten und warteten. Es waren Vorboten eines epischen Abstiegsdramas, das mit Gläubigeransprüchen von rund fünf Milliarden Euro endete. Was aber ist der in der Gier der Niedrigzinsphase zusammengekaufte, zusammengeklaubte Firmenverbund noch wert? Wer glaubt an die 27 Milliarden Euro, die in den Büchern stehen?
René Benko hat seinen Aufstieg mit Visionärem, Namedropping, Statusshow und Fortüne geschafft. Wer ihn anfangs der 2010er Jahre in seinem Heimatort Innsbruck besuchte, der glaubte, einen vielarbeitenden Überzeugungstäter zu erleben, der sich wortreich als Retter der Innenstädte präsentierte, als seriöser Kämpfer gegen die ihm so verhassten Einkaufszentren auf der grünen Wiese, als Problemlöser im Online-Handelsboom. Die Ferraris hatte er für die Öffentlichkeit durch Mercedes S-Klasse ersetzt. Stolz führte Benko durch sein „Kaufhaus Tyrol“ mit einem Shop-in-Shop-Konzept, das er an die Stelle eines alten Warenhaustempels erbaut hatte. Eine Blaupause, ein Muster für künftigen Erfolg! Seine jungen Mitarbeiter tüftelten in Glasbüros die Expansionsideen des Chefs aus, an den Wänden hingen Drucke, die Andy Warhols „Chairman Mao“ zeigten.
Benkos langer Marsch durch die Wirtschaftswelt begeisterte viele Stadtväter. Überall schlossen sie Deals mit dem juvenilen Emporkömmling wie etwa in Hamburg, wo der damalige Regierende Bürgermeister Olaf Scholz jenen geplanten „Elbtower“ bejubelte, der nun halbfertig und sehr traurig in der Flusslandschaft herumsteht. Wie im Rausch kaufte Benko erst Gebäude, dann Straßenzüge wie in Wien und wollte am Ende sogar ganze Städte prägen wie Bozen in Norditalien: Dort sollte die örtliche Mumienattraktion „Ötzi“ in ein neues Museum auf dem Hausberg umgebettet und mit einer neuen Seilbahn bereist werden. Wahnsinn? Methode!
Ganz offenbar halfen dem Aufsteiger die „Drücker“-Methoden des Strukturvertriebs, die er anfangs beim Allgemeinen Wirtschaftsdienst (AWD) des Carsten Maschmeyer kennengelernt hatte. Unentwegt redete Benko mit breitem Lächeln und funkelnden Augen von der angesammelten Top-Prominenz in seinem Umfeld. Hier planten Star-Architekt Sir David Chipperfield oder der berühmte Renzo Piano die mondänen Bauten, hier fungierte Österreichs Ex-Bundeskanzler Alfred Gusenbauer als Edel-Lobbyist, hier gehörte Pop-Diva Tina Turner zu den Stammgästen seiner Tiroler „Törggelen“-Events. Alles vom Feinsten.
Das galt auch für die Riege der Geldgeber. Gediegener Mittelstand gab sich die Klinke in die Hand, von Beraterdoyen Roland Berger bis „Fressnapf“-Gründer Torsten Toeller, von Bau-Großunternehmer Hans Peter Haselsteiner bis Top-Logistiker Klaus-Michael Kühne, von Auto-Dynast Robert Peugeot bis Schokoladen-Chef Ernst Tanner (Lindt & Sprüngli). Das Herdenverhalten in der Ersten Klasse der Wirtschaft wurde vom Zampano aus Innsbruck gezielt bedient. Gemeinsam genoss man, dass die Signa Holding 2019 mehr als eine Milliarde Euro Rekordgewinn schaffte.
Nun aber bangt die Unternehmer-Garde genauso ums Geld wie eine Corona von rund 120 Banken. Oft fehlt es an werthaltigen Sicherheiten. Man hätte misstrauisch werden können, als Benkos einstige Hauptstütze, Ex-Porsche-Chef Wendelin Wiedeking, vor mehr als sieben Jahren Reißaus nahm.
Vom Bauen verstand Benko zwar jede Menge, er hatte schon als Teenager früh mit dem Ausbau von Dachwohnungen viel Geld gemacht. Wichtige Zahlen in Immobilienverträgen kannte er auswendig. Doch die Geheimisse des Einzelhandelsgeschäfts blieben ihm verschlossen. Er verließ sich auf gutbezahlte Manager, die seine Unbedarftheit ausnutzten, wie Vertraute erzählen. Und dann erschwerten schließlich steigende Zinsen die bei Benko übliche Fremdfinanzierung, die Luft entwich seinen in der Bilanz stark aufgeblähten Bewertungen von Immobilien; sie taugten nun nicht mehr wie gewohnt als Basis für Neu-Kredite. In dieser Bredouille überforderte der Investitionsbedarf seiner Handelshäuer den Tiroler Geschäftsmann. Die Pleitewelle begann im Sportwarenhandel mit Signa Sports United. Auch für den bereits zweimal in die Insolvenz gegangenen Konzern Galeria Karstadt Kaufhof – mit 680 Millionen Euro Steuergeld gestützt – dürfte es eng werden. Einst war der Handel Benkos Aufputschmittel, nun wurde er, wenn man so will, zu seiner Todesdroge.
Die beliebteste Branchenfrage derzeit ist, wer künftig wohl neuer Eigentümer von Benkos Luxuskaufhäusern wie Oberpolliger (München), Alsterhaus (Hamburg), KaDeWe (Berlin) oder Selfridges (London) wird. Oder wer Nobelherbergen wie das Hotel Bauer Palazzo in Venedig, das Chalet N im Vorarlberg oder Boutique-Villen am Westufer des Gardasees („Eden Reserve“) übernimmt. Und was wird aus Prestigebauten wie dem New Yorker Chrysler Building, die der manische Sammler seiner Kollektion hinzugefügt hat?
Der Absteiger des Jahres hinterlässt einen opaken Firmenverbund. Was gehört zum Betrieb, was zu den Privatstiftungen der Familie Benko? Welche Firma hat intern welcher Firma Geld geliehen? Der über allem thronende Patron zog sich zwar aus offiziellen Funktionen zurück, behielt aber die Stimmrechte. Und pflegte wie gewohnt einen Soap-Opera-Lebensstil mit Privatflugzeug sowie persönlichen Luxusdomizilen in Igls bei Innsbruck oder im italienischen Sirmione.
So einer handelt nach dem Motto: „Was kostet die Welt?“. So einer erbaut sich die Realität selbst. Nur der Papst und die britische Monarchie hätten bessere Immobilien, witzelte Benko gern. Sein Sturz ist ein Politikum, schließlich hat er sich ein enges Netzwerk aus Politik, Wirtschaft und Medien geschaffen. Benko nahm sich sogar vor, seine teuer erworbenen Minderheitsanteile am Wiener Boulevardblatt „Krone“ auszubauen, mit der so manche politische Intrige in Österreich begonnen hat.
Schaut man zurück, kann man ihn als eine Art Kreuzung aus Jürgen Schneider, 89, und Thomas Haffa, 71, begreifen. Der Mann aus Tirol vereinigte den anspruchsvollen Bauwillen des dubiosen deutschen Investors, der in den 1990er-Jahren eine große Nummer war, mit dem dröhnenden Charme des EM.TV-Gründers, der es in der New Economy mit alten Kinderfilmen zum Börsensuperstar brachte. Nach Zerfall ihres Blendwerks wurden die beiden Deutschen verurteilt. Auch René Benko wird vermutlich viel Zeit in Gerichtssälen verbringen. Zu viele Leute haben mit ihm zu viel Geld verloren. Es bleibt kein Stein auf dem anderen. Manchmal ist der Ruhm von gestern die Schmach von heute.