Manchmal hilft es bekanntlich, sich Sisyphos als glücklichen Menschen vorzustellen. Manchmal reicht es auch, Gedanken zu formulieren, wie man am besten zum Anti-Sisyphos wird, also es schafft, den Felsblock auf den Gipfel zu hieven. In diesem Sinne kann man sich den Finanzmanager Paul Achleitner als glücklichen Autor vorstellen, der in New York zwischen Geschäftsterminen im Central Park auf dem iPad an einem Buch schreibt, das in „fluiden“ Zeiten, wie er sagt, für positive statt für die üblichen prekären Zukunftserwartungen sorgen soll.
Der gebürtige Österreicher, der in der Schweiz (Universität St.Gallen) lernte, über die USA (Unternehmensberatung Bain und Goldman Sachs) reifte und schließlich in Deutschland bei Allianz und Deutsche Bank Spuren hinterließ, hat nur oberflächlich betrachtet ein Karriere-Handbuch vorgelegt. Sicher beinhaltet das Werk – fußend auf eigene Notizen und Reden aus vielen Jahren – permanent sachdienliche Hinweise wie die Aufforderung, bloß nicht in der Komfortzone zu stagnieren, sondern stets neue Erfahrungen zu suchen. Doch es ist darüber hinaus ein bisschen das, was es nicht sein will: Memoir oder Essay-Buch. Dafür gibt es einfach zu viele Verweise auf Achleitners Arbeitsleben oder Einschätzungen zu Problemlagen. Der Charme liegt in diesen Zugaben.
Dass es sich um ein ungewöhnliches Werk handelt, machen schon die drei älteren Gedichte am Ende deutlich, die dem schreibenden Manager als Leitfaden dienten: „The Calf Path“ von Sam Walter Foss (eine Relativierung der Weisheit der vielen), „If“ von Rudyard Kipling („…if you can meet with triumph and desaster“) sowie „My soul is in a hurry“ von Mario de Andrade: „Jeder von uns hat zwei Leben. Das zweite beginnt, wenn einem klar wird, dass man nur eines hat.“
Die internationalen Verlage, denen Achleitner sein bereits auf Englisch fertig geschriebenes Buch („Accelerate Your Experience!“) offerierte, wollten entweder eine „Aus-Österreich-auf-den-Gipfel-der-Wallstreet“-Rührstory oder aber Roadshows, auf denen er sich zu Donald Trump & Co. ein- und auslassen sollte. Und man wollte erst mal ein „book proposal“. Irgendwann reichte es Achleitner und dockte beim Weinheimer Fachverlag Campus an, der auf sofortige Veröffentlichung einer deutschen Version drängte, für die der 68-Jährige sozusagen als „Editor seiner selbst“ fungierte.
Gute Führung ist für ihn, das lernt man schnell, die wichtiger gewordene Legitimität eines Unternehmens (dessen soziale Rolle, dessen Anspruch) in Einklang mit der tatsächlichen Leistung zu bringen. Schnöder Renditemaximierei erteilt er eine Abfuhr („Den Aktienkursen und Börsenwerten darf nicht das Hauptaugenmerk gelten“), was Kapitalismus-pur-Protagonisten aufschrecken müsste. Hier gilt das Leitbild eines belebten Stakeholder-Value (Achleitner: „Shakeholder-Value“), weil ja immer ein anderer aus dem betrieblichen Ökosystem (Personal, Lieferant, NGO, Politik, Regulierer) je nach Machtfülle am Baum rüttele, zumal in Zeiten von Social Media.
Das Buch ist ein Plädoyer für intellektuelle Neugier und Selbstbewusstsein, zugleich aber Warnung vor unkontrollierten Egos und vor Ego-Kult, der oft in Gestalt verführerischer Reden von Charismatikern daherkomme. Bei der Allianz etwa, erzählt Achleitner, brillierte der US-Verantwortliche jahrelang in internen Konferenzen, doch am Ende musste der amerikanische Firemen’s Fund nach etlichen CEO-Wechseln abgewickelt werden. „Wer behauptet, kein Ego zu haben, hat in der Regel das größte“, hat der Verfasser gelernt und einen alten Leitsatz verinnerlicht: „Umsatz ist Eitelkeit, Gewinn ist Klarheit, Bares ist Wirklichkeit.“
Dass er ein „polical animal“ ist, legen viele Kapitel nahe. „Politik ist keine Parallelwirklichkeit, sondern prägt unser Leben“, lautet eine These. Sie hat eine andere Rationalität als Wirtschaft; man müsse zueinanderfinden. Nebenbei erwähnt er, in der Jugend Che Guevara und dessen Kampf gegen Kubas Diktatur bewundert zu haben: „Hasta la victoria siempre“, immer bis zum Sieg.
In seiner Laufbahn hat es den Wirtschaftsmann zwar nie selbst in die Politik gedrängt, wiederholt aber machte er Vorschläge, wie staatliche Instrumente private Investoren locken und Kapital „hebeln“ könnten (letztes Modell: via Kreditversicherungen des Bundes). Politik beschreibt Achleitner als „Minenfeld“, wo Politiker – anders als in der Welt der Firmen – potenzielle Nachfolger nicht aufbauen, sondern ausschalten. Zu oft habe er leeren Versprechungen von Politikern geglaubt. Man verstehe sich hierzulande nicht auf die Kunst der Kooperation zwischen Staat und Wirtschaft, so der Teamwork-Fan.
Der Freundschaft zum Grünen-Veteran Joschka Fischer, dem er Nachhilfe in Sachen Ökonomie gab, hat das keinen Abbruch getan. Vermutlich hat Fischer bei ihm gelernt, dass man den Kapitalmarkt nicht nur den Liberalen überlassen darf.
Lehrmeister Achleitner, der selbst wiederum Henry Kissinger als „Gigant unter meinen Mentoren“ würdigt, stößt sich erkennbar an der Übermacht, die die USA gegenüber Europa gewonnen haben. Da ist er ganz Standortpatriot. Die völlige Abhängigkeit von amerikanischen Kapitalmärkten sei ein zentraler Wettbewerbsnachteil Europas: „Solange man sich an die Spielregeln der US-Investoren hält, versprechen Sie Geld in Hülle und Fülle – bis sie auf einmal den Hahn umdrehen.“ Gemeint sind offenbar Asset-Management-Firmen, Hedgefonds oder Pensionfonds, aber auch Venture-Capital-Fonds, die just jene Silicon-Valley-Größen nährten, die Europa in die nächste (technologische) Abhängigkeit führten. Geld sei nur „ein Mittel, den Spielstand festzuhalten“, merkt er zur Wallstreet an.
Von der so oft avisierten europäischen Kapitalmarktunion ist zu Achleitners Bedauern immer noch nichts zu sehen. Der einstige französische Finanzminister Bruno Le Maire sagte ihm, die Leute liebten weder Kapital noch Markt noch Union, das sei das Problem. Achleitner: „So einfach kann das sein.“ (In Brüssel wird inzwischen von der „Savings and Investments Union“ gesprochen.) Das Vorpreschen der Künstlichen Intelligenz könnte jedoch eine Systemkrise der US-Tech-Szene zur Folge haben, warnt der Autor – ganz so, wie das Subprime-Desaster 2007/2008 im Finanzmarkt zum Crash geführt habe.
Die einst mit dem Casinokapitalismus verbundenen Skandale bestimmten die Legitimitätskrise jener Institution, deren Aufsichtsrat Paul Achleitner dann von 2012 an für zehn Jahre geleitet hat: der Deutschen Bank.
Er lernte: „Erfindung ist schwer, Neuerfindung schwerer.“ Es war nicht der erwartete Job, das Geldhaus beim Gipfelsturm am Seil zu sichern, tatsächlich handelte es sich um einen „Turnaround“, der schon mal 50 Aufsichtsratstreffen im Jahr erforderte. „Solche Sitzungen zu leiten, ist eine Kunst“, erfahren wir und auch etwas zur „Politik des strategischen Schweigens“: Es gehe um das, was man tue, nicht um das, was man sage. Der langjährige Chefkontrolleur hält sich mit Details zurück, dankt aber erkennbar Frank Bsirske, dem Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat, sowie wichtigen Aktionären für gefundene Lösungen.
Jedes Unternehmen habe seine „artists and operators“, seine „Künstler und Handwerker“, referiert Achleitner. Das Problem der Bank sei die Überzahl der Künstler ganz oben gewesen, jener illustren „Rainmakers“, was zu Überheblichkeit führte. Der Sanierer im Hintergrund, der sich selbst den „Künstlern“ zuordnet, hat in dieser Sicht die handwerkliche Zunft gestärkt, erst mit dem Über-Fachmann John Cryan, dann mit dem jetzigen CEO Christian Sewing. Entscheidend sei gewesen, „den Handwerkern zu ihrem Recht zu verhelfen, nachdem lange die Künstler gefeiert worden waren“.
Seine Dienstjahre in den Zwillingstürmen von Frankfurt hat Achleitner als politischen Dienst für Deutschland begriffen. Im Übrigen ist er der festen Überzeugung, dass alles anders (und besser) gekommen wäre, wenn schon im Jahr 2000 die Fusion der Deutschen Bank mit der damals noch selbständigen Dresdner Bank geklappt hätte, an der die Allianz 22 Prozent hielt. Achleitner war als frisch bestallter Finanzchef des Versicherungskonzerns mit der Sache betraut.
Es ist zu erahnen, dass er in seiner Dekade bei der Bank unter der öffentlichen Wahrnehmung gelitten hat. Meriten für den Wandel der Unternehmenskultur bekam er kaum. Das Wort „Empathie“ fehlt weitgehend in seinem Buch, aber Achleitner hat erkennbar darauf geachtet, dass Führungskräfte erhobenen Hauptes gehen konnten und die Verkürzung der Bilanzsumme um eine Billion Euro recht geräuscharm ablief. „Mein Verhältnis zu den Medien war im Laufe der Jahre sicherlich holprig, doch so etwas formt den Charakter, wie man so schön sagt“, schreibt er.
Eine Korrektur des Images ist gleichwohl nicht direkt angestrebt, anders als im Fall des langjährigen Deutschbankers Josef Ackermann, der vor Achleitner vergeblich zur Aufsichtsratsspitze des Geldhauses gedrängt hatte. Wer oft genug „im Rampenlicht der Medien unter dem Brennglas beäugt“ wurde, habe ein gutes Recht, sein Umfeld und sein kolportiertes Bild nachträglich manipulativen Kräften und Absichten zu entziehen, schrieb der Schweizer in seinem Erinnerungsbuch „Mein Weg“ (2024). Aber Ackermann legte ja auch klassische Memoiren vor und kein Gedankenbuch, das die eigene Vita in sorgsam dosierten Portionen verabreicht.
Einen Satz zitiert Achleitner gleich zweimal, den des Boxers Mike Tyson: „Jeder hat einen Plan, bis er eine Faust ins Gescht kriegt“, was im Originaltext noch besser klingt: „Everyone has a plan – until they get punched in the face“. Bei Consultants heißt das: Umsetzung schlägt Strategie. Man legt sich wunderbarste Planungen zurecht, doch dann grüßt die Realität.
Mitunter wird Achleitner, Mitglied im Gesellschafterausschuss von Henkel (seit 2001), richtig explizit, etwa, wenn es um den erfolgten Rückzug des Pril- und Pritt-Konzerns aus dem dunklen Reich Putins geht: „Andere börsennotierte Konkurrente gaben zwar Lippenbekenntnisse ab, hielten aber letztlich am Russland-Geschäft fest.“ Und, überhaupt, sei es eine „desaströse Entscheidung“ deutscher Firmen gewesen, sich auf günstige russische Energieimporte zu verlassen.
Die Wurzeln der Karriere Achleitners werden oft deutlich. Die erste Prägung bekam er beim Berater Bill Bain, der die „Illusion of Satisfactory Underperformance“ geißelte – die Methode, sich selbst zu trösten (besser als die anderen, besser als in der Vergangenheit), wenn man doch nicht das volle Potenzial abgerufen hat. Ein anderer Bain-Lehrspruch: „Jedes Mal, wenn du den Mund aufmachst, gewinnst du Ansehen oder verlierst es.“
Die zweite Prägung erhielt er bei Goldman Sachs, wo der Großneffe des Gründers ihn damit lockte, Investmentbanking als „wild water rafting“, als „Wildwasserfloßfahrt“ zu genießen. So war das Leben bei Goldman für ihn auch (er begleitete etwa die Daimler-Chrysler-Fusion). Am Ende lehnte er den Börsengang der Bank ab, der ihm freilich viel Geld ins Vermögenskontor spülte. Was danach in der Karriere kam, war mitunter auch schwierig, aber insgesamt weniger bewegt – so etwas wie „Ocean Sailing“, Törns mit den stattlichen Dreimastern der Wirtschaftswelt durchs gekräuselte Meer.
Wenn es gut läuft, lernen die anvisierten Führungskräfte-Zielgruppen in „Erfahrung beschleunigen!“ nicht nur gutes Managementverhalten, so wie es Achleitner einst bei der Allianz mit neun oder elf Geboten („Paul’s Principles“) lehrte (nur zehn durften es nicht sein, wer will schon Moses sein). Nein, die Ambition ist erkennbar, Entscheider aufzurütteln, in Europa Kampfgeist zu vermitteln: „Die Resignation und negative Einstellung meiner Kollegen ist erdrückend.“ Eliten scheinen sich in Pessimismus überbieten zu wollen, lautet die Diagnose, „Resignation und Defätismus“ breite sich aus, überall, so achleitnert es, eine „geradezu masochistische Lust“.
Logisch, dass der Fan Karl Poppers dessen These vom Optimismus als moralische Pflicht zitiert. Er findet, Wirtschaftsunternehmen müssten in die Bresche springen, wenn es in der Politik an Optimismus fehle, „aber nicht ohne kritisches Denken“. Wenn es eine zentrale Botschaft gibt, dann diese: „Wir sollten bei uns selbst anfangen.“
Und sei es mit einem Buch.

