Meine gesammelten Werke: Wie ich die Lage gesehen habe.

Der bekannte Verhaltensökonom Ernst Fehr über autoritäre Populisten, Fairness in der Wirtschaft und den Widerstand der CEOs gegen objektive Leistungsbewertungen

Handelsblatt, 06.06.2025

„Trump bringt das Schlechte im Menschen hervor“

Der bekannte Verhaltensökonom Ernst Fehr über autoritäre Populisten, Fairness in der Wirtschaft und den Widerstand der CEOs gegen objektive Leistungsbewertungen

Handelsblatt, 06.06.2025

Er hatte Angebote der weltbesten Universitäten, etwa von Cambridge und Oxford, aber er blieb in Zürich. Wirtschaftsprofessor Ernst Fehr, 58, schaffte es auch so, im deutschsprachigen Raum über Jahre hinweg ganz oben in der Rangliste der wichtigsten Ökonomen zu landen. Der Pionier der „behavioral economics“ baute mit 100 Millionen Schweizer Franken von der Großbank UBS ein attraktives Forschungsinstitut auf, das erstklassige Ökonomen holte. An der Wiener Universität war der gebürtige Voralberger einst Assistent des Wirtschaftsprofessors Alexander van der Bellen, inzwischen Österreichs Präsident. Mit ihm tauscht sich Fehr noch heute regelmäßig aus. Mehr will er dazu nicht sagen.

 

 

Herr Professor Fehr, viele Menschen rätseln, wie wirtschaftlich klug die aggressive Politik des US-Präsidenten Donald Trump sind. Können Sie als Europas bekanntester Verhaltensökonom da weiterhelfen?

Trump ist halt Trump. Er ist sehr impulsiv und hat vorgefertigte Meinungen. In seiner Regierungsmannschaft sitzen lauter Loyalisten. Die sind in erster Linie loyal und erst in zweiter Linie vielleicht kompetent. Aber selbst von denen wissen einige, dass man mit Zöllen kein Defizit der Handelsbilanz schließen kann. Die Welt finanziert nun mal auf diese Weise Amerikas Konsumüberfluss. Aus all dem muss man schließen, dass der Präsident ziemlich beratungsresistent ist.

Die Selbstbeschreibung des langjährigen Immobilienunternehmers ist die eines „Dealmakers“. Kann man mit seinen Mustern tatsächlich die besten Deals erreichen?

Sein Muster ist offenbar, dem potenziellen Geschäftspartner eine Maximalforderung öffentlich „an den Kopf zu werfen“. In manchen Fällen mag das funktionieren – aber bestimmt nicht bei chinesischen Verhandlungspartnern. In Asien spielt es eine große Rolle, das Gesicht zu wahren. Niemals werden sie vor Trump in die Knie gehen.

Also viel Lärm um nichts?

Seine Politik dürfte eher kontraproduktiv sein. Schon die Zölle, die er in seiner ersten Amtszeit verhängt hatte, brachten nichts für Beschäftigung und Handelsbilanz – hat ihm aber politisch genützt. Indem Trump gegenüber seinen Wählern den starken Mann mimt, kommuniziert er, sich für etwas für sie Wichtiges einzusetzen. Die meisten Wähler verstehen aber zu wenig von den Auswirkungen von Zöllen.

Trump propagiert die „Kunst des Deals“. Wie wichtig ist generell Fairness für das Zustandekommen eines guten Geschäfts?

Trump stellt andauernd Ultimaten, ohne eigentlich dazu überhaupt in der Lage zu sein. Wir wissen aus vielen Verhaltensexperimenten, dass sich der andere bei einem wirklich zufriedenstellenden Deal nicht übervorteilt fühlen darf. Keiner darf glauben, an den Rand gedrängt worden zu sein. Fairness ist eine Kernkomponente.

In der internationalen Politik gilt jedoch zusehends das Prinzip der „strong men“. Inwieweit setzen autoritäre, unfaire Figuren wie Trump oder Wladimir Putin mit purem Machiavellismus neue Normen, die in Gesellschaften generell hineinwirken?

Autoritäre Populisten wie Trump haben häufig zur Folge, dass sie das Schlechte im Menschen hervorbringen. Das war schon unter den Nazis so. Der Mensch hat nun mal gute und schlechte Seiten. Mit einer solchen Politik werden Fremdenhaß, Diskriminierung oder die Herabwürdigung anderer normalisiert. Dann entsteht zwangsläufig Aggression gegen Minderheiten. Politiker sind in gewisser Weise per se für viele Vorbilder, weil sie in der Öffentlichkeit stehen. Leider finden auch schlechte Vorbilder Follower.

Sie haben immer wieder zur positiven Kraft von sozialem Verhalten und menschlicher Kooperationsbereitschaft geforscht. Insoweit wird das zum Wunschdenken, wenn sich „Trumpismus“ weiter ausbreitet?

Man muss immer schauen, bei welchem Problem sich die Menschen eigennützig oder uneigennützig verhalten. Wenn sie heute in ein amerikanisches Unternehmen gehen, wird das Kooperationsniveau nicht geringer sein als in der Zeit von Joe Biden. Im Büroleben ist für die Leute Kooperation unerlässlich. Dasselbe gilt für den Alltag und die Nachbarschaft. Im öffentlichen politischen Raum und im Internet dagegen wird die Polarisierung weiter zunehmen. Hate-Mails oder Hate-Chats auf X oder LinkedIn sind heute schon Realität.

Aber strahlt es nicht aus, wenn jeder solch aggressives Verhalten mitbekommt? Man weiß, wie der Kollege, der Nachbar, der Sportfreund denkt.

Wenn es Face-to-face-Kontakte gibt, fällt es den Leuten viel schwerer, gemein zu sein. Sie würden sich dafür schämen, wenn man sie persönlich damit konfrontieren würde, was sie im Internet oft anonym äußern. Schamloses Verhalten nimmt im Netz überhand. Es herrscht eine permanente Aufregungskultur. Deshalb bin ich persönlich nicht auf X, Facebook oder anderen Social-Media-Kanälen. Womöglich gibt es irgendwo ein Konto von mir, aber es liegt brach. Ich sichere mir so meinen Seelenfrieden.

Ist Donald Trump eigentlich der perfekte Homo oeconomicus, weil er pausenlos seinen Nutzen und Gewinn maximieren will?

In einer Dimension stimmt das – wenn es um sein Selbstinteresse geht. Das verfolgt er ziemlich unverschämt und ruchlos. Dabei scheut er auch vor öffentlich sichtbarer Korruption nicht zurück. Menschen, die für seinen Wahlkampf gespendet haben, profitieren davon, weil juristische Verfahren gegen sie eingestellt werden. Man kann nur hoffen, dass er irgendwann dafür zur Verantwortung gezogen wird. Gleichzeitig ist er aber nicht Homo oeconomicus in dem Sinne, dass er rational agiert. Dafür ist Trump viel zu impulsiv.

Weil er etwa missliebige Personen mit Kampagnen überzieht?

Ein gutes Beispiel für fehlgeleitete Kritik ist sein Verhalten gegenüber Jerome Powell. Sobald Trump den Chef der US-Notenbank wieder einmal kritisiert, sehen die Aktienmärkte die Unabhängigkeit der Notenbank bedroht. Daraufhin sinken die Aktienkurse. Rational wäre es aus Trumps Sicht, auf Powell informellen, unsichtbaren Druck auszuüben.

Lange Zeit war der Homo oeconomicus – der stets eigennützig handelnde, vernunftbezogene Mensch ohne soziale Präferenzen – das Leitbild der Ökonomie. Ein Irrweg?

Der Mensch hat Vorstellungen von Fairness und Gerechtigkeit. Er glaubt beispielsweise, dass grobes Fehlverhalten bestraft werden sollte. Der Homo oeconomicus immer nur ein Idealtypus. Wenn man weiß, wie sich komplett rationale und egoistische Menschen verhalten würden, hat man eine präzise Prognose, die empirisch widerlegbar ist.  Aus den Abweichungen vom Modell kann man lernen. Ein Leitbild für wirtschaftspolitische Empfehlungen kann der Homo oeconomicus aber nicht sein.

Und daraus folgt?

Wenn Firmen ihre Preispolitik festlegen oder Anreize für die Beschäftigten setzen wollen, müssen sie das tatsächliche Verhalten der Leute berücksichtigen. Es hängt vom Kontext ab, wann sich ein Mensch irrational verhält. Im Prinzip würde der Mensch gern immer rational handeln, macht dabei aber systematische Fehler.

Um welche Fehler geht es?

Ein typischer Fehler ist, dass Menschen in der Regel zu wenig auf Änderungen ihrer Umwelt reagieren. Das nennt man „behavioral attenuation“, die verhaltensmäßige Abschwächung. In Dänemark zum Beispiel wurden die Pensionsregeln so geändert, dass sich Sparen mehr lohnte. Die Dänen haben dennoch nur unwesentlich mehr gespart. Zur Lösung des Problems gibt es die Idee, dass Arbeitnehmer automatisch – als Standardeinstellung – in Sparplänen von Unternehmen eingeschlossen sind, solange sie sich nicht aktiv davon abmelden. Müssen sie sich dagegen von vorneherein anmelden, machen viel weniger mit. Das liegt an der Verhaltensträgheit und ist nicht rational.

Solche Standardeinstellungen zur Förderung eines wünschenswerten Verhaltens gehören zum „Nudging“, einem gezielten „Anstupsen“. Verbessert sich dadurch die Politik entscheidend?

Für das Individuum, das im Durchschnitt zu wenig spart, kann es besser sein, wenn es so in eine höhere Sparquote hineingestupst wird. Ein berühmter Nudge war „Save more tomorrow“ in einer Arbeit des Nobelpreisträgers Richard Thaler. Die Beschäftigten konnten dabei verbindlich festlegen, dass ein höherer Teil von künftigen Lohnzuwächsen gespart wird. Da haben viele mitgemacht. Der Schmerz ist nicht heute aufgetreten, man muss erst in Zukunft auf etwas verzichten.

In Deutschland hat das „Heizungsgesetz“, das in einigen Jahren aus Klimagründen den Zwangsaustausch von Öl- und Gasheizungen vorsieht, viel Widerspruch hervorgerufen…

…vielleicht hätte das zuständige Ministerium da ein paar Nudges mit einer Beratungsfirma austesten sollen und sich so Scherereien erspart. Aber man kann einen solchen Fall nicht allgemein beurteilen. Es kommt jeweils auf die empirische Forschung an.

Sie selbst beraten in Ihrer eigenen Beratungsfirma Fehr Advice häufig Firmen beim Nudging. Wie sieht das konkret aus?

Nehmen sie das Beispiel eines Versicherungsunternehmens, das erreichen will, dass Versicherungsnehmer beim Anmelden von Schäden ehrlicher sind. Es geht hier immerhin um Millionen. Auf der Basis von empirischen Untersuchungen, kann man hier, wenn ein Versicherungsnehmer anruft, mit den richtigen Worten und subtilen Botschaften viel erreichen. Unterschwellige Drohungen, etwa mit dem Gesetz, schaden in einem solchen Eröffnungsstatement. Positiv ist dagegen, ans Zusammengehörigkeitsgefühl zu appellieren – und etwa zu erwähnen, dass wir alle zusammen in einer Versicherungsgemeinschaft sind. Das kann die Ehrlichkeit der Teilnehmer fördern.

Die Deutsche Steuergewerkschaft fordert aktuell, mit Kassenbons von Geschäften und Restaurants, die für die Kunden zu Glückslosen einer staatlichen Lotterie werden, gegen Steuerhinterziehung und Schwarzwirtschaft vorzugehen. Das wird in manchen Ländern praktiziert. Eine gute Nudging-Idee? Schließlich heißt es in Gaststätten immer öfter: „Kartenzahlung nicht möglich“.

Das scheint mir a priori ein attraktives Modell zu sein. Manche dieser Kreditkartengebühren sind übrigens für die Unternehmen unverschämt hoch. Aber es gibt ja andere Formen der Kartenzahlungen wie Twint per Handy. Wenn ein Unternehmen generell Kartenzahlungen ablehnt, ist das erklärungsbedürftig.

Die Marketingindustrie erleben Sie als „einzige Nudging-Veranstaltung“, die dem Verbraucher nicht immer nütze. Was meinen Sie konkret damit?

Die Werbewirtschaft setzt schon immer auf Nudging. Man hat es nur anders genannt. Sicher, es gibt Werbung mit Informationsgehalt, aber wie oft kommt das vor? Die Menschen haben ein unvollkommenes Gedächtnis und durch Werbung wird die Erinnerung wachgehalten. Viele Nudging-Kritiker traten erst auf, als auch der Staat so etwas machte.

Der Vorwurf lautet, hier manipuliere der Staat den Einzelnen und schränke seine Freiheit ein.

Natürlich sollte staatliches Nudging generell einer öffentlichen Diskussion unterliegen.  Es ist aber absurd zu sagen, dass die Privaten so etwas machen dürfen, die öffentlichen Stellen hingegen nicht.

Extremes Nudging versucht, bisher in Pilotprojekten, die Volksrepublik China. Belohnungen und Bestrafungen von Individuen sind dabei in einem Social-Credit-System geregelt. Dem Rating des Bürgerverhaltens liegt eine große Datenbasis zugrunde.

Es ist ohne Zweifel eine Bedrohung der Freiheit, wenn ein totalitärer Staat so viel über seine Bürger weiß – und dieses Wissen nutzt, um sie zu belohnen oder zu bestrafen. Das erinnert an „1984“ von George Orwell. Auch Internetriesen wie Google oder Facebook haben extrem viel Wissen über das Individuum. Wenn das in die falschen Hände gerät und institutionelle Sicherungen nicht funktionieren, ist das für Demokratie und Freiheit enorm gefährlich.

Sie haben maßgeblich mitgewirkt am „Market Adjusted Performance Indicator“, der die Leistung des Top-Managements in börsennotierten Firmen misst. Warum wird er kaum genutzt?

Wir haben aufgehört, in diese Richtung zu beraten. Das ist nicht profitabel. Da kommt man in den Konflikt zwischen Management und Verwaltungsrat beziehungsweise Aufsichtsrat hinein.

Das müssen Sie erklären.

Idealtypisch ist das Kontrollorgan im Driver’s Seat bei der Festlegung von Managementgehältern und Boni. Aber so habe ich es nicht erlebt. Die Manager mischen mindestens genauso viel mit.

Vielleicht, weil laut Ihren Befragungen 90 Prozent der Top-Manager glauben, dass sie sehr rational entscheiden?

Der Widerstand der CEOs gegen unser Modell war gewaltig, weil ein solcher Indikator die Hände bindet. Er basiert darauf, nur jene Komponenten des Unternehmenserfolgs zu belohnen, die wirklich auf Managementverhalten zurückgehen. Anhand von Donald Trumps Zollpolitik sieht man: Nimmt er Zölle zurück, steigen die Aktienkurse, erhöht er diese, fallen die Kurse. Solche Einflüsse rechnet der Indikator raus.

Wer kann etwas gegen einen solchen Ansatz haben?

Manager lassen sich halt auch gerne für jenen Unternehmenserfolg belohnen, für den sie nicht verantwortlich sind. Wenn aber die Aktienkurse fallen, etwa aufgrund von Wechselkurs-Schwankungen und Währungsverlusten, dann wollen sie dafür keine Gehaltseinbußen hinnehmen. Für diese Asymmetrie gibt es gute empirische Evidenz.

SAP schafft aktuell in den USA das Ziel von 40 Prozent Frauenquote auf oberen Führungsebenen ab, eine Reaktion auf Trumps Anti-Woke-Politik. Wie beurteilt die Verhaltensökonomie solche Quoten und den Umgang damit?

Die Forschung hat festgestellt, dass Frauen häufig dem Wettbewerb aus dem Weg gehen. Deshalb bewerben sich sehr qualifizierte Frauen oft nicht für Top-Positionen, obwohl sie vielleicht besser wären als die Männer. Solche Quoten können, wenn man sie klug einsetzt, nützlich ein. Eine unserer Doktorandinnen hat die Auswirkungen einer Männerquote unter finnischen Lehrern untersucht. In Finnland unterrichteten jeweils zwei Lehrer in einer Volksschulklasse. Als man nun die Quote abschaffte, nahm dabei der Anteil der Männer stetig ab, weil die Frauen in der Regel die besseren Abschlussnoten haben. Die Folge waren schlechtere Leistungen der Schüler. Gemischte Teams erwiesen sich hier als besser.

Einst haben Sie versucht, mit Ihrem Wirtschaftsstudium in Wien die Welt besser zu machen, wie Sie selbst erklärten. Inwieweit ist das gelungen?

Der Beitrag eines Einzelnen ist nie sehr groß, wenn man nicht in politischen Machtzirkeln sitzt. Ich glaube, durch die Forschung zum Erkenntnisfortschritt beigetragen zu haben. Zum Beispiel, indem man mittlerweile anerkennt, dass soziale Motive im menschlichen Verhalten eine wichtige Rolle spielen.

Seltsam, dass die Anerkennung dieser Theorie so lange dauerte. Schon der große Nationalökonom Adam Smith argumentierte im 18. Jahrhundert in seiner „Theory of Moral Sentiments“ mit der Bedeutung von Empathie, die Menschen für andere Menschen empfinden. Sie steuere Verhalten.

Adam Smith ist nicht von einem komplett egoistischen Menschenbild ausgegangen. Natürlich, wir alle haben eine egoistische Komponente. Was wir herausgefunden haben, ist, dass zusätzlich eine wichtige soziale Komponente existiert, etwa Fairness oder Altruismus. Das spielt für Wirtschaft und Gesellschaft eben eine große Rolle.

Manche beschreiben Verhaltensökonomie als den „erfolgreichsten Lückenfüller der Wirtschaftswissenschaften in den vergangenen 200 Jahren“.

Ja, wir haben große Wissenslücken gefüllt. Dadurch hat die Ökonomie viel dazugelernt.