Wenn die Republik nicht so läuft wie eine der Hightech-Maschinen, die das Land so gern in alle Welt exportiert, ist man schnell bei Ludwig Erhard. Die ikonischen Bilder, die den beleibten Ökonomen mit Zigarre zeigen, gehören genauso zur Wirtschaftswunder-Nostalgie wie die Parole vom „Wohlstand für alle“. Erhard, eine Chiffre für bessere Zeiten.
Als selbst erklärte Erben des Herolds der sozialen Marktwirtschaft treten in diesen Tagen – eng verbunden – zwei Konservative in die Arena, deren Lebenslinien just an jenem oberbayerischen Gewässer zusammenlaufen, an dem auch der legendäre Altvordere Erhard seine letzten Jahre verbrachte: am Tegernsee.
Der eine Epigone ist CDU-Chef Friedrich Merz, 69, designierter Chef der künftigen schwarz-roten Bundesregierung, der just ein Häuschen im Ort Gmund besitzt, wo Ex-Kanzler Erhard begraben liegt. Der andere ist sein langjähriger Weggefährte Wolfram Weimer, 60, kein CDU-Mitglied, aber ein in liberal-konservativen Medien erprobter Journalist, der zusammen mit seiner vermögenden Frau Christiane Goetz-Weimer, 63, ein Verlagssammelsurium mit eher kleineren Presse-Marken im Wohnort Tegernsee aufgebaut hat. Höhepunkt des gemeinsamen Schaffens ist der alljährliche Ludwig-Erhard-Gipfel in Gmund, der – PR-technisch gut eingeführt – als „deutsches Davos“ in Medien zirkuliert und Spitzenpolitiker, Verbandsfunktionäre und Top-Manager anzieht. Die Inszenierung, Gala und Glamour inklusive, überstrahlt die Wirkkraft der angeschlossenen Medien bei weitem. Sponsorengelder fließen.
Stammgast seit vielen Jahren, wie könnte es anders sein: Friedrich Merz.
Bei so viel Seelenverwandtschaft ist es nur zu logisch, dass der Fast-Kanzler aktuell eine Personalie bestätigt hat, über die die Süddeutsche Zeitung vorab exklusiv berichtet hatte: Wolfram Weimer wird als Nachfolger der Grünen-Politikerin Claudia Roth neuer Kulturstaatsminister. Die Tegernsee-Connection hat somit sehr konkrete Folgen. Lange Zeit hatte der mit Sparmaßnahmen geforderte, jedoch auch überforderte Berliner Kultursenator Joe Chialo als Top-Kandidat für das Amt gegolten, auch Christiane Schenderlein aus Sachsen war genannt worden.
Und nun Wolfram Weimer, der Geschichte, Germanistik, Politikwissenschaften und Volkswirtschaftslehre studiert hat und über einen US-Bankenkrieg im 18. Jahrhundert promovierte? Der mit kühnen Prognosen zu Wachstum und Börsen aufwartet? Der die Festspiele in Salzburg und Bayreuth besucht, andererseits aber mit dezidierten Analysen über Theater, Museen, Kino und dergleichen kaum aufgefallen ist? Der mit seinen drei Söhnen dem Fußballklub Eintracht Frankfurt zujubelt und waghalsige Skiabfahrten wie Kandahar in Garmisch-Partenkirchen liebt?
In der CDU selbst erwartete ihn mancher wohl eher als Regierungssprecher. Schließlich hat der geltungsbewusste Journalist in Augen seiner Fans seit langem die Rolle eines wertkonservativen Publizisten in Talkshows überzeugend eingenommen, meist mit lächender Gelassenheit, auch Humor und nur gelegentlich mit leicht dröhnender Großerklärer-Attitüde.
Viel Macht hat der Aufsteiger in seiner neuen Funktion nicht, dafür aber größte Nähe zur Macht, was dem Ego schmeicheln düfte. Dem „Beauftragten des Bundes für Kultur und Medien“ stehen für 2025 gerade mal 2,2 Milliarden Euro zur Verfügung. Aber man kann in der Funktion öffentlichkeitswirksam Themen anreißen, etwa über Desinformation und die fehlgeleitete Macht der US-Internetmonopole.
Die Erwartungen in der Kulturszene sind gleichwohl niedrig. Über Social Media werden alte Artikel des neuen Ministers geschickt, die etwa gegen Multi-Kulti ledern. „Was für eine Fehlbesetzung!“, klagt Soziologe Armin Nassehi. Vorsichtig sagt Olaf Zimmermann vom Deutschen Kulturrat, es werde spannend, welche Schwerpunkte Weimer in der Kulturpolitik setze: „Der Koalitionsvertrag lässt viel Platz, da wenig konkrete neue Vorhaben und Ziele genannt werden.“ Doch auch in der Vergangenheit erwiesen sich Vorurteile gegen solche Novizen rasch als Irrtum, etwa bei Bernd Neumann (CDU) aus Bremen, der von 2005 bis 2013 amtierte. Und mit Michael Naumann hatte sich 1999/2000 schon einmal ein Journalist und Verleger in der Position bewährt.
Wo Wolfram Weimer politisch steht, darüber hat er nie einen Zweifel gelassen. Im Buch „Das konservative Manifest“ hielt er 2018 Familie und Christentum hoch, seine Sorge galt der „Fortdauer des eigenen Bluts“ sowie der „biologischen Selbstaufgabe“ Europas. In einem Total-Verriss des Werks begründete Jürgen Kaube, Mitherausgeber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (FAZ), nunmehr, warum der Kollege als Kulturstaatsminister „der falsche Mann am falschen Platz“ sei.
Es war im Übrigen die FAZ, wo Weimers Karriere begann – zunächst als Wirtschaftsredakteur und Korrespondent. Danach bildete er für einige Zeit mit dem gleichfalls hochaufgeschossenen Mathias Döpfner bei der „Welt“ ein Team, das intern als „Twin Towers“ firmierte. Doch während der einstige Musikkritiker Döpfner bei Axel Springer immer weiter aufstieg, war für Weimer bald Schluss. Stattdessen gründete er 2004 mit dem Geld des Schweizer Verlegers Michael Ringier das Magazin „Cicero“, das anfangs dem Anspruch eines „deutschen ,New Yorker‘“ nahekam. 2010 übernahm Weimer – für gerade mal ein Jahr – die Chefredaktion von „Focus“. 2012 folgte die eigene Weimer Media Group GmbH, eine Art Asylstätte für Zeitungen und Zeitschriften, von denen sich andere aus ökonomischen Gründen lieber trennen wollten. Zum Tegernsee-Portfolio gehören neben einer Buch-Edition das Debattenportal „The European“, die Magazine „Markt und Mittelstand“ und „Business Punk“, die Publikation „Börse am Sonntag“, der „Wirtschaftskurier“ sowie das Satiremagazin „Pardon“, das man allerdings zuletzt in Museen statt am Kiosk erlebte. Von einem Objekt wie „Die Gazette“, 2020 erworben, hat man nichts mehr gehört.
Weimer schrieb, verlegte, managte, präsidierte und bot um andere Titel. Und dann kommentierte der aus dem hessischen Gelnhausen stammende Publizist auch noch munter bei Focus Online und n-tv. Größere Zweifel in der Meinungsfindung? Fehlanzeige. Stets galt das Primat der steilen These.
So lobte Weimer Anfang 2016 die CDU-Politikerin Julia Klöckner als „neue Angela Merkel“, deren Papier zur schärferen Migrationspolitik („Plan A2“) die Partei von Merkel emanzipiere: „Julia Klöckner wird so wahrscheinlich neue Ministerpräsidentin in Rheinland-Pfalz wie Bayern München deutscher Meister wird. Also sehr wahrscheinlich.“ Im Juni 2022 wiederum erklärte er bei „Maischberger“, die Ukraine habe den Krieg gegen Russland bereits verloren, Berlin müsse einen Friedensplan vorlegen.
Man hat auf der Welttribüne als Viel-Kommentierer zwangsläufig nicht immer recht, aber all das hat Friedrich Merz bei seiner Ministerkür nicht aufgehalten. Die beiden ordoliberalen 1,98-Meter-Männer verbindet, Stipendiaten der Konrad-Adenauer-Stiftung gewesen zu sein und am selben Tag (es ist der 11. November) Geburtstag feiern. Auch in Fragen der Freizeitgestaltung geht das Duo d‘accord. So wurden sie auf dem Golfplatz von Bad Wiessee beim Einputten beobachtet.
Nicht weiter verwunderlich also, dass die persönliche Weimer-Publizistik in Sachen Merz eine auffallende Elogenhaftigkeit durchzieht. Den umstrittenen Fünf-Punkte-Plan des CDU-Chefs zur Migration, der die AfD so begeisterte, lobte der Beobachter vom Tegernsee: Während die Migration das Land zerreiße, heuchele Rot-Grün an der Brandmauer.
Wiederholt kürte Weimer seinen Golfpartner bei n-tv zur „Person der Woche“. Im September 2024 war Merz der richtige Kanzlerkandidat: In der Vergangenheit habe es Phasen der Republik gegeben, in denen eine „Vaterfigur (Konrad Adenauer)“ nötig gewesen sei, nun jedoch brauche Deutschland – nach all den „Weichspülern der Macht“ – einen kantigen Sanierer à la Merz: „Typus durchsetzungsstarker Mann mit hoher Wirtschaftskompetenz“. Vor einigen Wochen, im April, war Merz dann „Person der Woche“, weil eine „Koalition der Aufräumer“ entstehe. Zusammen mit SPD-Partner Lars Klingbeil würde er eine „bittere Last der Revision“ auf sich nehmen. Während der SPD-Chef die Politik bei Migration und Bürgergeld revidiere, drehe der CDU-Anführer die Haltung zur Schuldenbremse. Das Ganze sei so wie bei Konrad Adenauer, der 1950 überraschend die Wiederbewaffnung eingeleitet hatte. Deutschland stehe „vor einem zweiten Adenauer-Moment“.
Das Zusammenspiel des Politikers und des Publizisten dürfte sich in Kürze wieder beim nächsten Ludwig-Erhard-Gipfel in Gmund zeigen. Er beginnt am 7. Mai – einen Tag nach der geplanten Kanzler-Wahl – unter dem Motto: „Deutschland nach der Wahl – kommt nun das neue Wirtschaftswunder?“ Merz, fest eingeplanter Wundermann, hat wie immer zugesagt. Laut Programm ist Impresario Weimer für Kommentierungen oder Interviews wie mit dem Koalitionskollegen Klingbeil („Weimers Klartext“) vorgesehen. Das ist ein mittlerweile kaum mehr denkbares Unterfangen.
Um Interessenkonflikte zu verhindern, legte Wolfram Weimer bereits mit sofortiger Wirkung die Geschäftsführung der Weimer Media Group nieder und überließ das Business ganz seiner Frau, einer einstigen FAZ-Politikredakteurin. Auch als Chefredakteur von „The European“ hört er auf. Wolfram Weimer wolle sich bis zum 6. Mai zu allen anfallenden Fragen nicht öffentlich äußern, heißt es auf Anfrage.
Wer immer etwas von der neuen Macht in Berlin erwartet, könnte die 3213 Euro für ein Kongress-Gesamtticket (ohne Gipfelnacht) jedenfalls als gute Investition betrachten. Verlegerin Goetz-Weimer macht erst gar kein Hehl daraus, dass sie ihren gutbürgerlichen Ludwig-Erhard-Gipfel quasi als „Keimzelle der neuen Bundesregierung“ betrachtet. Hier, abseits des kalten politischen Berlins, seien sich die Neu-Koalitionäre Klingbeil und Merz erstmals „auf andere Weise begegnet“, erklärte sie im „Münchner Merkur“. Es menschelte.
Jetzt geht diese Geschichte vom Tegernsee weiter. Mit einer neuen Regierung, zwei Zugereisten als Kanzler und Minister, und natürlich mit Ludwig Erhard im Geiste.